Von alters her wurden nicht die Menschen von den Engeln,
sondern die Engel von den Menschen verehrt.
Das hat seinen Grund darin, dass die Engel höhere Wesen sind, als die
Menschen, und zwar in dreifacher Hinsicht:
1. Hinsichtlich der Würde; die Engel nämlich besitzen eine
rein geistige Natur: „Geister hat er zu seinen Boten gemacht“ (Ps. 103. 4); die Menschen dagegen eine
sterbliche. Darum sprach Abraham: „Ich will reden zu meinem Herrn, wiewohl ich
Staub und Asche bin“ (1 Mos. 18. 27). Es war daher nicht geziemend, dass ein
geistiges und unvergängliches Geschöpf einem vergänglichen, nämlich dem
Menschen, Ehrerbietung erwies.
2. Wegen der Gottesnähe. — Denn die Engel sind gleichsam
Gottes Hausfreunde, da sie unmittelbar vor seinem Antlitz stehen. „Tausendmal
Tausende dienten ihm und zehntausendmal Hunderttausende umstanden ihn“ (Dan. 7.
10). Die Menschen dagegen sind gleichsam Fremdlinge Gottes und durch die Sünde
von ihm entfernt. „Fliehend habe ich mich entfernt“ (Ps. 54. 8). Deshalb
gebührt es sich, dass der Mensch den Engel verehre, als einen Freund und
Hausgenossen des Königs.
3. Wegen der Fülle des göttlichen Gnadenlichtes: denn die
Engel nehmen an diesem göttlichen Lichte in vollstem Maße Teil. „Ist eine Zahl
wohl seiner Heerscharen? Und über welchen steigt nicht empor sein Licht?“
(Cantic. 4. 7). Darum erscheinen auch die Engel immer von Licht umflossen. Die
Menschen dagegen nehmen am Lichte der Gnade nur in beschränktem Masse teil, so
dass ihm gleichsam etwas Dunkel beigemischt ist. Es war daher nicht geziemend,
dass die Engel einem Menschen Ehrerbietung erwiesen, bis ein mit der
menschlichen Natur bekleidetes Wesen gefunden wurde, das in dieser dreifachen
Hinsicht mit noch höheren Vorzügen ausgestattet war, als selbst die Engel. Und
ein solches Wesen war die allerseligste Jungfrau.
(aus: Katechismus des hl. Kirchenlehrers Thomas von Aquin)
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