Seiten dieses Blogs

Montag, 6. Juni 2016

Hirntod + Organspende. - Wie gehe ich als Christ damit um?

Von Dr. med. Regina Breul

(Hervorhebungen von mir)

1967 führte Christian Barnard die erste erfolgreiche Herztransplantation durch. Es folgten in den USA und in Japan weitere Transplantationen. Die Staatsanwaltschaften begannen wegen vorsätzlicher Tötung zu ermitteln. In Japan wurde ein Arzt, der einem „hirntoten Patienten“ Organe entnommen
hatte, rechtskräftig wegen Mordes verurteilt.

1968 wurde durch das Ad Hoc Committee der Harvard Medical School
das „irreversible Koma“
in „Hirntod“ umbenannt.

Damit war zum einen der Weg frei für eine Therapiebeendigung bei Patienten im irreversiblen Koma und zum anderen konnten straffrei lebend-frische Organe für die Transplantation gewonnen werden. Der noch lebende Patient wurde zum „Toten“ umdefiniert, da Organe nur einem Toten entnommen werden durften. Diese Voraussetzung für die Organentnahme wurde als „Dead Donor Rule“ bezeichnet.

Obwohl es von Anfang an viele Kritiker dieser Gleichsetzung von Tod und Hirntod gab, gilt die „Dead Donor Rule“ bis heute als ehernes Gesetz der Transplantationsmedizin.
Es schien so, als sei der Hirntod endgültig als Todeskriterium anerkannt.

Das Jahr 2008 brachte eine entscheidende Wende.

Robert Truog von der Harvard Medical School, der Geburtsstätte des „Hirntodes“, veröffentlichte mit Franklin G. Miller eine Arbeit, in der klargestellt wurde, dass für hirntot erklärte Patienten nicht tot sind. Allerdings fordern die beiden Wissenschaftler um der Organspende nicht zu schaden, ein Abrücken von der „Dead Donor Rule“ und ein „gerechtfertigtes Töten“ („justified killing“) von für hirntot erklärten Patienten zum Zwecke der Organgewinnung. Die Organentnahme bei einem lebenden Menschen würde allerdings gegen das Tötungsverbot verstoßen. Was blieb zu tun? Um der Organgewinnung nicht zu schaden wurden philosophische Konzepte entwickelt.

So schrieb u.a. Kardinal Lehman: „Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Hirntod zwar nicht gleichzusetzen ist mit dem Tod des Menschen schlechthin, aber er ist ein reales Zeichen des Todes der Person.“

Diese Lösung ist äußerst problematisch.

Sie hängt davon ab wie man eine „Person“ definiert. Die Messlatte lässt sich je nach Bedarf beliebig verschieben. Auf diese Weise könnten evtl. in Zukunft auch Anenzephalie, Wachkomapatienten oder Menschen mit mehr oder weniger schwerer Demenz zu Organspendern erklärt werden.

2012 wurde das Deutsche Transplantationsgesetz mit dem Ziel, die Organspenden zu erhöhen von der erweiterten Zustimmungslösung hin zur Entscheidungslösung geändert. 

Laut Gesetz sollen die Krankenkassen in regelmäßigen Abständen ihre Mitglieder zur Organspende auffordern. Die zukünftigen Organspender sollen auch über Organspende aufgeklärt werden. 
Die offizielle Aufklärung über Organspende wird von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZfgA) und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit betrieben. Allerdings vermisst man eine wahrheitsgemäße Aufklärung. An deren Stelle steht aufwendige und kostspielige Werbung.

In anderen Ländern gelten andere Bestimmungen für die Organspende. So gilt in Ländern, die wegen ihres Spenderaufkommens als vorbildlich gelten, die Widerspruchslösung; d.h. wer nicht zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat ist automatisch ein Spender. In Österreich muss man z.B. in ein Widerspruchsregister in Wien eingetragen sein. Die Bestimmungen des jeweiligen Landes gelten auch für Reisende. Vor Antritt einer Reise sollte man sich, wenn man kein Organspender sein möchte, über die jeweiligen Bestimmungen informieren. Die Hirntoddiagnostik gilt inzwischen als unsicher. Weltweit gibt es immer wieder Berichte von Fehldiagnosen, auch in Deutschland. Namhafte Wissenschaftler, darunter auch Neurologen und Transplanteure, fordern daher eine Qualitätssicherung der Hirntoddiagnostik.

Die zur Feststellung des Hirntodes vorgeschriebenen Untersuchungen sind für den Patienten belastend und zum Teil auch gefährlich. Sie dienen nicht ihm selbst und können ihm sogar schaden. So kann der zwingend vorgeschriebene Apnoetest u.a. zu einem Blutdruckabfall und zu Herzrhythmusstörungen bis hin zum Herzstillstand führen.

Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer wird der Hirntod definiert als der „Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms“. In dieser Definition wird das Zwischenhirn (Diencephalon) nicht erwähnt. Zum Zwischenhirn gehört u.a. der Hypothalamus. Dieser ist das oberste Regulationszentrum für alle vegetativen und endokrinen Vorgänge. Das erklärt, warum bei sog. Hirntoten die Kreislaufregulation, die Temperaturregulation, die vegetative und die hormonelle Regulation noch funktionieren.

Hirntote haben eine innere Atmung, d.h. der Gasaustausch zwischen Blut und Gewebe funktioniert noch. Einen wirklich toten Menschen kann man nicht mehr beatmen. Man würde ihn nur aufblasen. Sogenannte Hirntote haben eine spontane Herztätigkeit und einen Blutdruck. Sie sind warm, haben Stoffwechselvorgänge und scheiden aus. Sie können Durchfall oder Verstopfung entwickeln, haben eine Blutbildung und Blutgerinnung, sind in der Lage Antikörper zu bilden, können Infektionen überwinden, zeigen vegetative Reaktionen wie z.B. Hautrötungen und Schwitzen und haben Muskelkontraktionen.

Für hirntot erklärte Frauen können Schwangerschaften austragen und Milch produzieren. Hirntote Männer haben Erektionen. Sie sind in der Lage Antikörper zu bilden, können Infektionen überwinden, zeigen vegetative Reaktionen wie z.B. Hautrötungen und Schwitzen und haben Muskelkontraktionen.

Diese normalerweise als Lebenszeichen anerkannten Phänomene werden bei für hirntot erklärten Patienten als mit dem Zustand eines Toten vereinbar gehalten.

Es gibt sichere Todeszeichen, die unmissverständlich zeigen, dass ein Mensch gestorben ist
. Von diesen sicheren Todeszeichen, Totenflecken, Totenstarre und Fäulnis, ist bei einem „Hirntoten“ keines nachzuweisen. Von den sechs unsicheren Todeszeichen, Bewusstlosigkeit, Herzstillstand, Atemstillstand (Apnoe), Bewegungslosigkeit, niedrige Körpertemperatur und Blässe finden sich beim „Hirntoten“ lediglich zwei, nämlich Bewusstlosigkeit und Atemstillstand.

Der für hirntot erklärte Patient ist allenfalls ein Sterbender im möglicherweise irreversiblen Hirnversagen.

Zur Feststellung des Hirntodes gibt es in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Richtlinien. In Deutschland gelten für die Hirntoddefinition und die Hirntoddiagnostik die Richtlinien der Bundesärztekammer, die ein nicht-rechtsfähiger Verein ist. Für die Diagnose Hirntod werden die „Feststellung der klinischen Symptome Bewusstlosigkeit (Koma), Hirnstamm-Areflexie und Atemstillstand (Apnoe) und der Nachweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome“ verlangt.

In ihrer Arbeit „Revival der Hirntoddebatte“ fordert Dr. Sabine Müller, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Charité, weiterführende bildgebende Untersuchungen zur Sicherung der Diagnose. Wie sie sehr richtig ausführt, werden z.B. das Mittelhirn, das Kleinhirn und die Großhirnrinde bei der nach den Richtlinien der Bundesärztekammer durchgeführten Hirntoddiagnostik nicht ausreichend bzw. überhaupt nicht erfasst.

Für eine erfolgreiche Transplantation sind Organe, die einer Leiche entnommen werden, nicht geeignet. 1968 wurden durch die Harvard Kommission Menschen, die sich im irreversiblen Koma befanden aber noch als Lebende galten, zu Hirntoten und damit zu Toten umdefiniert.

Viele Vertreter der christlichen Kirchen bezeichnen die Organspende als einen Akt der Nächstenliebe. Obwohl sie wissen, dass der für hirntot erklärte Patient nicht wirklich tot ist, versuchen sie, die Organentnahme zu rechtfertigen. Sie sprechen dem für hirntot erklärten Patienten, bei dem nur drei Prozent seines Körpers, nämlich das Gehirn, möglicherweise irreversibel versagen, das Recht auf das Personsein ab. Diese Lösung ist äußerst problematisch, da sie davon abhängt wie man eine „Person“ definiert.

Der Tod des Organspenders tritt erst durch die Organentnahme ein. 


Nach §2296 des Katechismus der Katholischen Kirche ist es aber sittlich unzulässig, die Invalidität oder den Tod eines Menschen direkt herbei zu führen, selbst wenn es dazu dient den Tod anderer Menschen hinauszuzögern.

Gehen wir davon aus, dass der für hirntot erklärte Patient möglicherweise ein irreversibel Sterbender ist, hat er ein Recht darauf, die letzten Momente seines irdischen Daseins in Würde zu leben, wie es im Kompendium des Katholischen Katechismus gefordert wird.

(Dr. med. Regina Breul, Ärztin, Dozentin und Publizistin)

Quelle: SGGF

KAO-Kritische Aufklärung über Organtransplantation


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen