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Samstag, 20. Februar 2016

Die Nonne Blandina Paschalis und das Volto Santo von Manoppello

Die Autorin des Buches „Jesus Christus, Lamm und schöner Hirt. Begegnung mit dem Schleier von Manoppello“, die Trappistin Blandina Paschalis Schlömer OCSO, schreibt in ihrem Vorwort:

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„Es sind 35 Jahre her, seit ich mich mit dem Schleier von Manoppello befasse. Heute lebe ich als Eremitin in Manoppello. Wie kam es dazu? Wann lernte ich das Antlitz Christi im Schleiertuch kennen? Wodurch wurden die Nachforschungen darüber angestoßen? Was muss und darf ich heute zum Heiligsten Antlitz im Schleiertuch sagen? Immer wieder werde ich danach gefragt. Vor allem hier in Italien weiß man praktisch nichts über die ganz in mein persönliches und alltägliches Leben verwobenen ersten Anfänge der Arbeit mit dem Schleiertuch, und wie dann erst im Laufe der Jahre durch beständiges Beobachten, Studieren, durch wunderbare Fügungen, Austausch, Gebet und menschliche Kontakte ganz allmählich eine neue Situation entstand.“

Wer ist diese Nonne, die letztlich dafür verantwortlich ist, dass „Il Volto Santo di Manoppelo“, das Schleiertuch von Manoppello, zunächst als „Das Muschelseidentuch“ von Paul Badde im Jahr 2005 in die Welt hinausgetragen werden konnte?

Paul Badde schrieb in seinem 2006 erschienen Buch „Das Göttliche Gesicht“ über Schwester Blandina:

Endlich gingen wir [Anm.: Paul Badde und seine Frau Ellen] zusammen zum Ausgang des Heiligtums vom Göttlichen Gesicht in Manoppello, zurück zu unserem Auto. Wir öffneten die Tür des hölzernen Windschutzes vor dem Ausgang, als durch das Außenportal eine Nonne in den Kabuff trat. „Schwester Blandina?“, fragten wir beide wie aus einem Mund auf Deutsch, tief in den italienischen Abruzzen. „Ja, bitte!“, antwortete sie und sah uns staunend an.

Sr. Blandina bei einem Vortrag
Weder meine Frau noch ich hatten Schwester Blandina Paschalis Schlömer O.C.S.O. je gesehen, noch ein Foto von ihr, doch mehrmals von ihr gelesen und gehört, dass sie aus dem deutschen Kloster Maria Frieden in der Eifel stamme und als Einsiedlerin nach Manoppello umgezogen sei. Den Namen Blandina hat sie bei ihrer Taufe erhalten. „Paschalis“ hingegen, „die Österliche“, wurde sie bei ihrem Eintritt in den Orden genannt, auch wenn der Name nicht ganz nach ihrem Geschmack war, und O.C.S.O. ist die Abkürzung für das lateinische „Ordo Cisterciensium Strictioris Observantiae“.

Das heißt, sie gehört den „Zisterzienserinnen der strengeren Observanz“ an, einem sogenannten Reformzweig der Zisterzienserinnen aus dem 17. Jahrhundert, die nach ihrem Ursprungskloster im französischen La Trappe auch Trappistinnen genannt werden. Das ist eine asketische Gemeinschaft mit strengen Schweigeregeln und strikten Bußübungen, die gemeinsam und lautstark fast nur das Lob Gottes singen. Sonst schweigen sie. Die Nonne im schwarzweißen Habit ist studierte Pharmazeutin und gelernte Ikonenmalerin. Vor allem aber muss sie in unserer Zeit für die Menschen außerhalb Italiens wohl als die erste Wiederentdeckerin des „Heiligen Gesichtes“ gelten.

Denn den Handwerkern, Bauern und Fischern der Adria von Ancona bis Tarent brauchte sie natürlich nicht zu beweisen, dass das Tuchbild echt und authentisch war. Die glauben ohnehin seit 400 Jahren unerschütterlich daran. Schwester Blandina aber ist diesem Glauben erstmals mit deutscher Gründlichkeit nachgegangen, mit der Apothekerwaage und immer neuen Messungen, bei denen sie - wie sie sagt - entdeckt und nachgewiesen hat, dass das Bild ganz und gar allen Proportionen und Abmessungen des Porträts auf dem Grabtuch von Turin entspricht.

Auch das war vorher in Italien seit einiger Zeit schon vielmals behauptet worden, doch keiner hat es je an solch eine große Glocke gehängt wie Schwester Blandina. Ohne sie hätten ich und viele andere wohl auch nie von dem Tuchbild erfahren. Ohne sie gäbe es dieses Buch nicht.

[…] 1943 in Karlsbad in Tschechien geboren, kam Blandina Schlömer zwei Jahre später an der Hand ihrer Mutter mit zwei kleineren Schwestern als Flüchtling in das brennende und ausgebrannte Deutsche Reich, wo sie die Kindheit im Ruhrgebiet verbrachte. Der Vater ist ein frommer Postbeamter, der trotz des Schulgeldes all seinen fünf Töchtern nach dem Krieg eine akademische Ausbildung zuteil werden lässt. Drei der Töchter werden später Nonnen, eine Zahnärztin und eine Künstlerin.

Blandina ist beides geworden: Nonne und Künstlerin (und fühlt sich auch immer wieder berufen, manchen Mitmenschen einen Zahn zu ziehen). Anfangs will sie nur Nonne werden, zuerst Missionsschwester „vom Kostbaren Blut“, und tritt zehn Jahre später in den Trappistenorden über. Inzwischen ist sie schon Mosaizistin und hat 1965 das Turiner Grabtuch in einem Buch ausführlich kennen gelernt, von dessen Authentizität sie nach der Faktenlage überzeugt ist. Es wird ihr Christusbild. Als Ikonenmalerin malt sie es immer wieder.

1979 liegt ihr Kloster mit Grippe im Bett und sie kümmert sich von Zelle zu Zelle um die Kranken. Bei einer Mitschwester entdeckt sie dabei auf dem Kreuz über dem Bett das Antlitz aus Turin wieder. „Oh, Sie haben es auch!“, bricht sie da das Schweigegebot. Die andere Schwester nickt nur, vielleicht murmelt sie auch etwas. Doch kaum genesen, legt sie Blandina dann eine Zeitung vor die Tür, die von einem anderen Bild auf „Gaze“ in den Abruzzen berichtet, mit einem großen Schwarzweißfoto. Es war das letzte Dezemberheft der Zeitschrift Das Zeichen Mariëns, in dem ein gewisser Renzo Allegri von „Ähnlichkeiten mit dem Grabtuch von Turin“ und von „rätselhaften, unerklärlichen Eigenschaften“ dieses anderen Bildes reden.

Im Grunde sagte er damals schon alles, was darüber zu sagen ist, doch bei Schwester Blandina ist er damit an der falschen Adresse. „Ich war so ärgerlich und entsetzt“, erinnert sie sich, „dass ich das Heft einfach nahm und in den nächsten Schrank stopfte. Ein anderes Christusbild, neben Turin? Unmöglich! Das gab es einfach nicht.“ Vielleicht ist sie auch nur eifersüchtig. Doch dann geschieht etwas Merkwürdiges. Während sie im Lauf desselben Tages weiter die vielen langen Flure des Klosters entlang geeilt, um ihre kranken Mitschwestern zu betreuen, gehen ihr einfach die Augen nicht mehr aus dem Sinn.

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Sie wird sie nicht mehr los. Sie sieht sie überall vor sich. Und dabei ist es im Grunde bis heute geblieben, bei ihrem langen „Aufstieg auf den Berg Tabor“, wie sie sagt: der Aufstieg zu jenem Berg, auf dem Jesus seinen engsten Aposteln zu seinen Lebzeiten schon einmal „verklärt“ erschienen ist. Es ist der Beginn einer Liebesgeschichte, die nicht mehr enden will.

Am gleichen Abend holt sie das Heft wieder aus dem Schrank und studiert den Artikel kritisch in aller Ruhe. Plötzlich erkennt auch sie Entsprechungen zu dem Turiner Bild, doch das Bild bleibt ihr fremd - bis sie entdeckt, dass es aus irgendeinem Grund in der Zeitung spiegelverkehrt abgebildet worden sein muss. Dann entdeckt sie, dass es nicht nur dem Grabtuch ähnelt, sondern ebenso den Christusikonen, mit denen sie sich seit Jahren befasst.

Es wird danach noch sechzehn Jahre dauern, bis sie das Tuchbild erstmals mit eigenen Augen sieht, doch diese Jahre sind angefüllt mit Studien an dem Bild, zuerst nur in den frühen Morgen- und späten Abendstunden, schließlich in jeder freien Minute. Sie lebt in dieser Zeit in dem Kloster Maria Frieden in der Eifel und zu Ausbildungszwecken in einem Kloster in der Provence, wo man noch heute im Klosterladen ein Elixier namens „Blandinin“ verkauft, das sie dort nach der Inspiration eines Familienrezeptes aus dem Egerland aus Rosskastanienessenz, Lavendelöl und einem Tropfen Glyzerin zusammengemixt hat - gegen alle möglichen Gelenk- und Muskelschmerzen.


Schließlich verbringt sie noch drei Jahre in einer Neugründung des Klosters Helfta in Sachsen-Anhalt, wo ihr Orden nach dem Mauerfall die Tradition der heiligen Gertrud und der heiligen Mechthild wieder aufnehmen will, die dort im 13. Jahrhundert gelebt haben, beide mit leuchtenden Christusvisionen.

Die Überzeugung, dass das Bild in Manoppello echt und nicht ganz von dieser Welt ist, begleitet sie dabei Tag für Tag, obwohl sie es noch gar nicht gesehen hat. Und Tag für Tag lebt sie immer mehr gegen den Widerstand an, den ihre wunderliche Liebe bei anderen auslöst, zuerst bei ihren Mitschwestern, schließlich auch bei Gelehrten quer durch Europa.

Es ist eine Amour fou, wie es in Frankreich heißt. Manche halten sie für eine heilige Närrin, an denen Russland lange so reich war, andere finden nicht, dass sie heilig ist. Vor allem ist sie für viele Jahre völlig allein mit dieser Entdeckung, die sie nicht mehr loslassen will. Sie studiert, sie fotokopiert, sie bastelt Folien, die übereinander passen, sie wird besessen von der „Sopraposition“ der beiden Bilder, wie sie diese Technik nennt; doch als das Experiment dann publiziert wird, erscheint das „Beweisfoto“ geradezu lächerlich verschoben in der Öffentlichkeit.

Erst 1999 werden ihre Erkenntnisse ansprechend gedruckt. Professor Andreas Resch, ein bekannter Experte für Paranormologie aus Innsbruck, der von ihren Forschungen erfahren hat, hat sie zu der Veröffentlichung des Werkes gedrängt. Nun passen auf zwei beiliegenden Folien nicht nur das Bild von Manoppello und Turin detailgenau übereinander, sondern der Schleier - über eine Vielzahl von Christusbildern und alten Ikonen gelegt - scheint das wahre Antlitz der Person Christi immer von neuem zu entschleiern und zu offenbaren, gerade so, als öffne der Schleier ein Fenster durch die Kunstwerke hindurch.

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Das gelingt ihr bei dem Auferstandenen aus dem Hohenfurter Altar in Prag, bei dem Heiligen Antlitz von Novgorod, bei der Christusikone des Katharinen-Klosters im Sinai bis hin zu dem Mosaikbild des Allherrschers in der Pudentiana-Basilika aus dem 4. Jahrhundert in Rom. Es scheint unglaublich: ein Schleier, der das Gesicht Christi entschleiert und offenbart, anstatt es zu verbergen und zu verstecken. Ein Tuch, das enthüllt und nicht verhüllt - als würde er jedem Menschen und Kunstwerk, dem er vorgehalten wird, zu seinem wahren Gesicht verhelfen. Es ist unglaublich. Genau auf diesen Unglauben stößt sie auch bei den Fachgelehrten, denen sie ihre Kenntnisse zuerst unterbreitet, besonders bei dem zu seiner Zeit vielleicht wichtigsten. Das ist Werner Bulst, ein Jesuitenpater in Darmstadt, der sich - seiner umfassenden Studien an dem Turiner Grabtuch wegen - für den deutschen Sprachraum den Ruf eines „Grabtuchpapstes“ erworben hat.

1983 schickt die Nonne dem berühmten Gelehrten ein dickes Couvert mit den Ergebnissen ihrer „Forschungen“ (an dem Objekt, das sie bis dahin noch nie gesehen hat). Pater Bulst lässt sich Zeit mit der Antwort. Schließlich schickt er eine kurze Nachricht, er habe die Sache an einen interessierten Kunsthistoriker in Rom weitergegeben, an Pater Heinrich Pfeiffer, der ebenfalls Mitglied der Gesellschaft Jesu sei und an der päpstlichen Gregoriana-Universität lehre.

Wenige Wochen danach bekommt Schwester Blandina Post aus Rom. Pater Pfeiffer bedankt sich für das bemerkenswerte Christusantlitz, von dem er sich - nach dem, was sie ihm dazu mitgeteilt hat - vorstellen könne, dass es vielleicht ähnlich rätselhaft entstanden sein könne wie das berühmte Gnadenbild der Madonna von Guadalupe in Mexiko. Nur mit dem Grabtuch von Turin habe es gewiss nichts zu tun. Danach setzt sich Schwester Blandina wieder an ihre Hausaufgaben: Über ein halbes Jahr lang fertigt sie noch einmal Vergrößerungen, Kopien und noch sorgfältigere Übereinanderprojektionen an, bis die Bildspuren in zahllosen Entsprechungen ineinander greifen und beide Bilder in gegenseitiger Ergänzung „zu einem einzigen neuen Gesicht zusammenwachsen“. Pfeiffer ist beeindruckt, doch nicht überzeugt.

Wohl aber bewegt ihn die letzte Post Blandinas, zum ersten Mal selbst von Rom nach Manoppello zu fahren. Als er die Kirche durch das Portal betritt und das Heilige Antlitz über dem Altar in der Monstranz erblickt, sieht er gar nichts. Licht fällt von hinten durch das Gewebe, schneeweiß leuchtet es vor ihm in das Kirchenschiff hinein. „Es sieht aus wie eine Hostie“, ist das erste, was dem Priester durch den Kopf geht, „wie eine rechteckige Hostie“. Von der Stunde an ist auch Pater Pfeiffer dem Antlitz verfallen wie ein Kreuzritter seiner Sehnsucht nach Jerusalem. Seitdem gilt er in Rom als „Apostolo del Volto Santo“ - und bei anderen bald als Narr und Phantast.

Und vielleicht stimmt ja auch beides. Vielleicht brauchte es ja wirklich die überschießende Phantasie eines Phantasten, um sich das Unvorstellbare vorstellen zu können, von dem hier berichtet wird. Jedenfalls markiert der Anblick der „rechteckigen Hostie“ den Anfang vom letzten großen Kapitel seines Forscherlebens - und den Beginn eines heillosen Zerwürfnisses. Denn Pater Bulst in Darmstadt ist nicht erfreut darüber, wie sein gelehrter Mitbruder auf die zweifelhaften Erkenntnisse einer unbekannten Nonne hereinfallen konnte - und sie von nun an Jahr für Jahr von Rom aus in ihrem Konvent in der Eifel besucht.

[…] 1995 hat aber auch Schwester Blandina das Tuchbild selbst noch immer nicht gesehen. Der Trappistenorden ist keine Gemeinschaft, in der man sich nach Gutdünken kurz ein Ticket kauft und nach Italien düst. Erst im Oktober dieses Jahres macht sie sich „unvorhergesehen und überraschend „ mit Pater Pfeiffer und zwei Schwestern nach Manoppello auf - weil eine leibliche Schwester, die ebenfalls Trappistin ist, in Italien erkrankt ist.

Das Foto am Morgen vor der Abfahrt aus dem Raum des Trappistenkonvents von Vitorchiano bei Viterbo zeigt sie schwebend vor Glück. „Die lebendige Begegnung mit dem Schleier machte auf mich einen überaus tiefen Eindruck“, vertraut sie danach ihren Aufzeichnungen an: „Wir sind nämlich normalerweise nicht mit Gegenständen konfrontiert, die aus unserer Erfahrungsebene herausfallen. Etwas Unscheinbareres als dieses kleine, weiße Tuch kann es fast nicht geben.“

Dennoch enthalte es eine unglaubliche Botschaft. Sie ist da schon völlig überzeugt, dass sich Kaiser und Künstler seit dem 4. Jahrhundert dieses Bildes zusammen mit dem Turiner Grabtuch als „ungeschriebener Dokumente“ des christlichen Glaubens bedient hätten: eines das Bild eines Toten und das andere das Bild eines Lebenden. Es gebe zwei Quellen der authentischen Bilder Christi und nicht nur eines. Bei ihren Forschungen habe sie deshalb auch immer an den mathematischen Lehrsatz denken müssen, nach dem zwei Größen, die einer dritten gleich sind, auch untereinander gleich sein müssen.

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Es sei darum „der Herr“, der uns in beiden Bildern anschaue und begegne. Deshalb ist ihr aber auch die schroffe Ablehnung des Manoppello-Bildes gut verständlich. Denn gegen den erhabenen, geheimnisvollen Bildschatten von Turin störe das konkrete „nur menschliche „ und durch und durch individuelle Bild aus den Abruzzen. So konkret wolle ihn keiner. Und vielleicht störe ja auch überhaupt die Vorstellung eines lebenden Gottes mehr als das Antlitz Christi in der Totenruhe.

Hundert Jahre hat es gedauert, weiß sie, bis sich die wissenschaftliche Erkenntnis durchgesetzt habe, dass jedes Detail auf dem Turiner Grabtuch den Schilderungen der Passion Christi in den Evangelien aufs Genaueste entspricht, sogar unsichtbare Details wie herbei geflogene Pollen aus der Frühlingsflora der Hügel ringsum Jerusalem. Gerade Pater Bulst habe sich immense Verdienste an diesen Forschungen erworben. Da dürfe es keinen wundern, wenn die Anerkennung des schwierigeren Bildes von Manoppello noch einmal hundert Jahre dauere.

Das schmälere nicht ihre Zuversicht. Schwester Blandina Paschalis Schlömer O.C.S.O. hat eine Mission - und es sind nicht wenige, denen sie damit auf die Nerven gegangen ist. In Deutschland ist sie die treibende Kraft eines rührigen Vereins mit dem hebräi- schen Namen Penuel um das Heilige Gesicht von Manoppello geworden, dem sie inzwischen auch ein wenig regelmäßige Unterstützung außerhalb der Klostermauern verdankt.

Mit der gleichen Unbekümmertheit, mit der sie im Revier vor den Elfenbeintürmen approbierter Schriftgelehrter der verschiedensten Disziplinen wilderte, steckt sie aber auch in den Abruzzen ihre Nase in viele Angelegenheiten, die nicht ihr business sind, wie man in England sagt. Einmal sind ihr die fehlenden Toiletten für künftige Pilger vor dem Heiligtum ein besonderes Anliegen. Auch dass die Glocken im Turm nicht schlagen, wie sie sollen, ist ein Fall für sie. 2003 hatte sie mit dieser besonderen Gabe von ihrer Äbtissin die seltene Sondererlaubnis erwirkt, in voller Treue zu all ihren Gelübden aus der Gemeinschaft des Ordens in ein kleines Haus an einem Hang über dem Heiligtum von Manoppello umzusiedeln, um dort als Einsiedlerin zu leben.

Sie fuhr ins Blaue hierhin, mitten im Sommer kam sie mit ihren Umzugskisten vor dem Heiligtum an. Mit sechzig Jahren hat sie nun Italienisch gelernt. Jetzt kniet und sitzt sie täglich vor dem Bild, in völlig leeren Kirchlein der Kapuziner. Wer verfolgt, mit welcher Selbstvergessenheit sie immer noch jeder neuen Spur nachgeht, die sie im immer neuen Licht des Bildes entdeckt, muss um ihren Lebensunterhalt fürchten, den sie mit dem Malen und dem Verkauf von Ikonen eher schlecht als recht verdient.

„Schlecht hören kannst du gut, hat schon mein Vater zu mir gesagt“, antwortet sie einmal auf einen Widerspruch von mir. Verzetteln kann sie sich auch gut. Zur Messe kommt sie fast regelmäßig zu spät. Das war schon im Kloster so, als Kantorin - natürlich zur hellen Freude ihrer Mitschwestern. Wenn sie schon fix und fertig in der Tür steht, um den kleinen Abhang zur Kirche hinunterzugehen, fällt ihr ein, dass sie vielleicht noch schnell ihren Schleier bügeln sollte oder das Honigglas vom Tisch zurück in den Schrank stellen könnte oder eigentlich in einem Buch noch rasch eine wichtige Stelle nachschlagen müsste, bevor sie es vergisst. Ihre Gelenke schmerzen.

Für die Wege hinauf und hinab von der Kirche zu ihrer Einsiedelei benutzt sie zwei Stöcke. Und dann geschieht es immer wieder, dass sie auf dem Weg hinab stehen bleibt und alles andere vergisst, weil sie das majestätische Panorama des schneebedeckten Gran Sasso in der Ferne in den Bann schlägt. Manchmal lacht sie wie ein junges Mädchen. Manchmal regen Fliegen an der Wand sie auf. Manchmal ist ihr Gesicht wie ein offenes Fenster, hinter dem Nebelbänke vorbeiziehen.

[…] Als wir sie im Juni 2004 besuchen, duftet Manoppello nach Jasmin. Der Garten des Hotels „Pardi“ ist nachts wie mit Spinnfäden von einem Leuchtspurennetz der Glühwürmchen durchzogen. Sogar durch das Schlafzimmer zog eins seine Spur zum Fenster hin. Am Morgen sitzen wir zusammen vor dem Bild. Danach singt Blandina „Salve Regina“ zum Abschied, das klassische lateinische Marienlied an die Himmelskönigin, mit hoher klarer Stimme, der man jetzt noch die Stimmführerschaft des Chores im Kloster anhört.

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„Was ist das?“, frage ich sie danach, „wenn sie jetzt - hier! vor diesen Augen! - singen: 'et Jesum post hoc exilium ostende'. Nachdem sie schon viele Male Folien des Schleiers von Manoppello über Kopien des Grabtuchs aus Turin gelegt hatte, als sie schon aus ihrer Ordensgemeinschaft in Deutschland in ihr kleines Einzelhaus in die Abruzzen umgezogen war, da brachte ihr eines Tages eine ihrer neuen Nachbarinnen den Band X der Privatoffenbarungen einer gewissen Maria Valtorta mit und schlug ihr die Seite 352 auf.

Maria Valtorta war eine italienische Seherin, die sich in Deutschland vielleicht mit Katharina von Emmerick vergleichen lässt oder mit Therese Neumann („der Resl“) von Konnersreuth oder in Frankreich mit Marthe Robin. Papst Pius XII. habe die Seherin sehr geschätzt, erfuhr Blandina, und er habe angeordnet, dass nach ihrem Tod alles gedruckt werden sollte, was sie in ihren Einsprechungen als Stimme Jesu vernommen habe. Das Heilige Antlitz aus Manoppello war damals in großen Teilen Italiens noch so gut wie unbekannt.

Schwester Blandina begann nun, Wort für Wort mühsam aus dem Italienischen ins Deutsche zu übersetzen, was Maria Valtorta in Isola del Liri am 22. Februar 1944 als Worte Jesu aufgezeichnet hatte: „Meine letzten Wunder habe ich zum Trost Marias in Jerusalem gewirkt: Das war die Eucharistie und der Schleier der Veronika. Der Schleier der Veronika ist auch ein Stachel für eure skeptischen Seelen. Vergleicht einmal das Gesicht des Schweißtuchs mit dem auf dem Grabtuch. Das eine ist das Gesicht eines Lebenden, das andere das Gesicht eines Toten. Aber Länge, Breite, die physischen Eigenheiten, die Form, alle charakteristischen Merkmale sind gleich. Legt die Bilder übereinander. Seht, wie sie sich entsprechen. Ich bin es. Ich, der euch daran erinnern wollte, wer ich war und aus Liebe zu euch geworden bin.“


Das Buch von Schwester Blandina ist in zwischen auch in französischer Übersetzung erschienen.


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