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Dienstag, 11. August 2015

Das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (1/4)


Am 1. November 1950 wurde von Papst Pius XII. die leibliche Aufnahme der Mutter unseres Herrn Jesus Christus in den Himmel als Dogma verkündet. Einer der großen Theologen jener Zeit, Professor Dr. Otto Semmelroth S. J. verfasste einen Artikel mit dem Titel „Mariens Herrlichkeit. Mariens leibliche Aufnahme als Dogma der Kirche“. Der Kaufpreis eines Exemplares betrug 10 Pfennige. Das auf schlechtem Papier u. a. von der Strüderschen Buchduckerei in Neuwied hergestellten Druckwerk wurde aber auch anderweitig vielfach verteilt und z. T. Zeitschriften als Beilage zugegeben. Ein Exemplar davon befindet sich in meinem Besitz. Dieser Artikel von Professor Semmelroth ist auch heute noch, nach fast 65 Jahren, sehr interessant. Darum empfehle ich, ihn gerade heute einmal aufmerksam zu lesen.


(Hervorhebungen usw. von mir.)

Was Pius XII. am 1. November 1950 als Dogma der Kirche verkündet hat, ist inhaltlich nichts Neues. Aber die Dogmatisierung hat einige Frage aufgeworfen: Die eine Frage zunächst, wie ein solches Dogma möglich ist, da doch eine unfehlbare Lehrentscheidung an die Offenbarung Gottes gebunden ist. Und die andere Frage, warum gerade heute diese Lehre so ins Licht allgemeiner Beachtung gehoben wird. Wir wollen diese Fragen um zwei Stichworte gruppieren. Ein Dogma als Lehrentscheidung des Papstes ist erstens eine unfehlbare Aussage, und es ist zweitens eine feierliche, also bewußt in das Suchen und Fragen einer Zeit hineingesprochene Aussage.

I. Das neue Dogma als unfehlbare Aussage
Drei Tatsachen müssen wir zusammen sehen, wenn wir uns der Schwierigkeit bewußt werden wollen, die sich hier auftut:
Erstens ist die päpstliche Definition eines Dogmas an die Offenbarung Gottes gebunden. Die Kirche vollzieht hier eine ihrer wesentlichen Aufgaben, Gottes Offenbarung über die Jahrhunderte hinweg rein und echt an uns gelangen zu lassen.
Zweitens aber gibt es nach der Zeit Christi und seiner Apostel keine neue Offenbarung mehr. Vielmehr liegt das, was Gott seiner Kirche offenbart hat, nach der Lehre das Konzils von Trient (4. Sitzung vgl. Neuner-Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, Nr. 80) „in den geschriebenen Büchern und den ungeschriebenen Überlieferungen, die die Apostel aus Christi Mund empfangen haben oder die von den Aposteln selbst unter Eingebung des Heiligen Geistes gleichsam von Hand zu Hand weitergegeben wurden und so auf uns gekommen sind".
Und eine dritte Tatsache müssen wir hinzunehmen: In der Heiligen Schrift finden wir über Mariens Himmelfahrt nichts, wenigstens wenn man sie nimmt, wie ihr Text daliegt; und die erste Christenheit bis ins vierte, fünfte Jahrhundert hinein wenigstens, hat anscheinend nichts von der Himmelfahrt Mariens gewußt.

Wer diese drei Dinge zusammen sieht, muß zu der Frage kommen: Wie kann das Lehramt der Kirche heute sagen, Mariens leibliche Aufnahme in den Himmel sei von Gott offenbart?

In der Heiligen Schrift finden wir nichts über die Aufnahme des Leibes der Gottesmutter, das ist wahr, wenigstens wenn man ausdrückliche Texte sucht. Eine andere Frage ist, ob damit ausgeschlossen ist, daß diese Wahrheit zu dem gehört, was Gott seiner Kirche gesagt, offenbart hat. Die Heilige Schrift ist inspiriertes Wort Gottes. Alles also, was in ihr steht, gehört zu Gottes Offenbarung. Ist damit aber das Recht gegeben, diesen Satz umzukehren, als ob alles, was offenbart ist, in der Heiligen Schrift stehen müsse?

Das Konzil von Trient hat in dem oben zitierten Satz nur aufgenommen, was allgemeiner Glaube der gesamten Kirche war, daß nämlich die Offenbarung enthalten sei „in den geschriebenen Büchern (= der Heiligen Schrift) und den ungeschriebenen Überlieferungen .. ." Gottes Wort an seine Kirche ist eine Mitteilung von Wahrheiten, ja. Aber diese wollen sein wie ein Anruf Gottes an die Kirche, die in der Schrift selbst des Herrn Braut genannt wird. Diese Gottespartnerin soll in lebendigem Austausch und Umgang mit Gott seine Offenbarung aufnehmen und beantworten. Kann man annehmen, daß Gott - diese Frage klingt primitiv und rührt doch ans Wesen der Kirche — mit seiner Partnerin nur schriftlich verkehre?

Mariens Herrlichkeit. Mariens leibliche Aufnahme als Dogma der Kirche, von Otto Semmelroth S. J.

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