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Donnerstag, 13. August 2015

Das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (3/4)

II. Das neue Dogma als feierliche Aussage

Außer der Frage, ob die leibliche Himmelfahrt Mariens wirklich in der Offenbarung begründet sei, also überhaupt als Dogma verkündet werden könne, wurde häufig die Frage nach der Opportunität dieser Verkündigung gestellt Eine Dogmatisierung ist feierliche Verkündigung. Das heißt, die Kirche ist der Überzeugung, mit einer solchen Verkündigung der heutigen Zeit und gerade ihr Wichtiges zu sagen. Man mag manches Begründete sagen können, das die Verkündigung des Dogmas als inopportun erscheinen läßt. Vor allem die Störung des Gespräches mit den evangelischen Christen wurde immer wieder angeführt. Man kann auch nicht einfach geltend machen, die Wahrheit frage nicht nach opportun oder inopportun.

Gewiß kann man nicht aus Gründen der Opportunität verneinen, was Wahrheit ist.

Nicht einmal mit Stillschweigen übergehen kann man Gegenstände, die Gott selbst seiner Kirche offenbart hat.

Dennoch darf man die Frage stellen, ob eine von der Gesamtkirche geglaubte Wahrheit auch feierlich als Dogma verkündet werden solle oder nicht. Da hat die recht verstandene Opportunität immerhin einiges mitzusprechen.

Die Kirche hat die Bedenken, die auch von ihr ernst genommen wurden, zurückgestellt, Sie muß also drängende Gründe gehabt haben, dennoch zur Definition zu schreiten.

Was will die Kirche unserer Zeit sagen, wenn sie dieses marianische Dogma verkündet?

Wollen wir das beantworten, dürfen wir nicht übersehen, daß seit alter Zeit Maria nicht nur als die geschichtliche Frau von Nazareth und tatsächliche Mutter des Herrn gesehen und verehrt wurde. Maria wird immer auch — man verstehe es nicht falsch — als Symbol gesehen. Das heißt nicht, die Gestalt Mariens entwirklichen. Ein Symbol ist eine konkrete Wirklichkeit, hier die historische Gestalt Mariens, in der aber Wirklichkeiten aufleuchten, die man unmittelbar nicht greifen und sehen kann.

Wenn die Kirche also ein Dogma von Maria verkündet, werden wir annehmen dürfen, ja müssen, daß sie dadurch über die Einzelgestalt Mariens hinaus Aussagen machen will über den Bereich, der sich hinter ihr erstreckt. Die Bischöfe Deutschlands zeigen sich in ihrem Hirtenbrief vom 24. August 1950 überzeugt, daß die Lehre des neuen Dogmas „unmittelbar hineinspricht in die Problematik unserer Zeit. Was die Geister heute letztlich bewegt, ist die Frage nach dem Menschen, die Frage nach einem gültigen und wegweisenden Menschenbild".

Die Kirche darf in dem auf allen Gebieten sich vollziehenden Ringen um das rechte Menschenbild nicht abseits stehen. Weiß sie sich doch kraft göttlicher Offenbarung im Besitz des wahren Menschenbildes. Sie gibt ihre Antwort diesmal nicht in theoretischer Belehrung oder moralischer Ermahnung, sondern indem sie dem universalem Irren unserer Zeit jene ganzheitliche Gestalt entgegenstellt, in der nach alter christlicher Überlieferung das Urbild der erlösten Menschheit, also das gottgewollte Menschenbild vorgezeichnet ist.

Der Existentialismus unserer Tage, der jede vorgegebene Planung und damit jeden vom Menschen zu erfüllenden Sinn des menschlichen Daseins leugnet, wird also korrigiert: Es gibt ein Menschenbild, allerdings nicht in wirklichkeitsferner Unverbindlichkeit — und damit wird ein berechtigtes Anliegen des Existentialismus bestätigt —, sondern hineingestellt in unsere menschliche Geschichte, die durch Mariens Zutun Heilsgeschichte geworden ist.

Mariens Herrlichkeit. Mariens leibliche Aufnahme als Dogma der Kirche, von Otto Semmelroth S. J.



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