Außer der Frage, ob die
leibliche Himmelfahrt Mariens wirklich in der Offenbarung begründet sei, also
überhaupt als Dogma verkündet werden könne, wurde häufig die Frage nach der
Opportunität dieser Verkündigung gestellt Eine Dogmatisierung ist feierliche Verkündigung.
Das heißt, die Kirche ist der Überzeugung, mit einer solchen Verkündigung der
heutigen Zeit und gerade ihr Wichtiges zu sagen. Man mag manches Begründete
sagen können, das die Verkündigung des Dogmas als inopportun erscheinen läßt.
Vor allem die Störung des Gespräches mit den evangelischen Christen wurde immer
wieder angeführt. Man kann auch nicht einfach geltend machen, die Wahrheit
frage nicht nach opportun oder inopportun.
Gewiß kann man nicht aus Gründen der Opportunität
verneinen, was Wahrheit ist.
Nicht einmal mit Stillschweigen übergehen kann man
Gegenstände, die Gott selbst seiner Kirche offenbart hat.
Dennoch darf man die Frage stellen,
ob eine von der Gesamtkirche geglaubte Wahrheit auch feierlich als Dogma
verkündet werden solle oder nicht. Da hat die recht verstandene Opportunität
immerhin einiges mitzusprechen.
Die Kirche hat die Bedenken,
die auch von ihr ernst genommen wurden, zurückgestellt, Sie muß also drängende
Gründe gehabt haben, dennoch zur Definition zu schreiten.
Was will die Kirche unserer
Zeit sagen, wenn sie dieses marianische Dogma verkündet?
Wollen wir das beantworten,
dürfen wir nicht übersehen, daß seit alter Zeit Maria nicht nur als die
geschichtliche Frau von Nazareth und tatsächliche Mutter des Herrn gesehen und
verehrt wurde. Maria wird immer auch — man verstehe es nicht falsch — als
Symbol gesehen. Das heißt nicht, die Gestalt Mariens entwirklichen. Ein Symbol
ist eine konkrete Wirklichkeit, hier die historische Gestalt Mariens, in der
aber Wirklichkeiten aufleuchten, die man unmittelbar nicht greifen und sehen
kann.
Wenn die Kirche also ein
Dogma von Maria verkündet, werden wir annehmen dürfen, ja müssen, daß sie
dadurch über die Einzelgestalt Mariens hinaus Aussagen machen will über den
Bereich, der sich hinter ihr erstreckt. Die Bischöfe Deutschlands zeigen sich
in ihrem Hirtenbrief vom 24. August 1950 überzeugt, daß die Lehre des neuen
Dogmas „unmittelbar hineinspricht in die Problematik unserer Zeit. Was die
Geister heute letztlich bewegt, ist die
Frage nach dem Menschen, die Frage nach einem gültigen und wegweisenden
Menschenbild".
Die Kirche darf in dem auf
allen Gebieten sich vollziehenden Ringen um das rechte Menschenbild nicht
abseits stehen. Weiß sie sich doch kraft göttlicher Offenbarung im Besitz des
wahren Menschenbildes. Sie gibt ihre Antwort
diesmal nicht in theoretischer Belehrung oder moralischer Ermahnung, sondern
indem sie dem universalem Irren unserer Zeit jene ganzheitliche Gestalt entgegenstellt,
in der nach alter christlicher Überlieferung das Urbild der erlösten
Menschheit, also das gottgewollte Menschenbild vorgezeichnet ist.
Der Existentialismus unserer
Tage, der jede vorgegebene Planung und damit jeden vom Menschen zu erfüllenden
Sinn des menschlichen Daseins leugnet, wird also korrigiert: Es gibt ein
Menschenbild, allerdings nicht in wirklichkeitsferner Unverbindlichkeit — und
damit wird ein berechtigtes Anliegen des Existentialismus bestätigt —, sondern
hineingestellt in unsere menschliche Geschichte, die durch Mariens Zutun
Heilsgeschichte geworden ist.
Mariens Herrlichkeit. Mariens
leibliche Aufnahme als Dogma der Kirche, von Otto Semmelroth S. J.
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