Gegen den gegenteiligen Irrtum aber des übergroßen Pessimismus,
der mit der Reformation Luthers und der „Sündenmystik" unserer Zeit an der
Bedeutung menschlichen Eigenwirkens bei der Erlösung verzweifelt, zeigt uns
Maria den Menschen, der erlöst wird, indem er sich erlösen läßt, indem er sein
„Fiat" sagt und sein ganzes Leben zum Weiterklingen dieses Fiat an den
Willen des Vaters gestaltet.
Gegen einen einseitigen Spiritualismus, der nur die
Seele erlöst glaubt und den Leib sich selbst überläßt, zeigt uns das neue
Dogma, daß auch der Leib das „Heilmittel der Unsterblichkeit" besitzt, wie
die frühen Kirchenväter gern sagen.
Maria als Urbild der Erlösten zeigt uns, was Erlöstheit bedeutet:
Verklärung der Seele und des Leibes. Sie hat sie als Urbild schon zu Beginn, wir werden
die ganzheitliche Erlösung der Seele und des Leibes im Vollsinn erlangen, wenn
wir — und das ist eine letzte Korrektur am Irren der heutigen Menschheit — dem
Leib die Erlösung in der von Maria
vorgeprägten rechten Ordnung zukommen lassen.
Der Mensch unserer Tage wird
nicht ungern hören, daß in diesem Dogma dem Leib sein Recht gegeben werde.
Dennoch wird auch er in vielleicht recht schmerzliche Schranken gewiesen. Er
nämlich sucht Erlösung, Beseligung
seiner Seele, indem er den Sehnsüchten des Leibes zuerst, vielleicht
ausschließlich, nachgeht.
Damit verkehrt er die rechte Ordnung.
Er spürt es ja selbst, daß seine ruhelose Seele durch
Leibesseligkeit nicht zu Frieden und Erlösung kommt.
Maria erlangt die leibliche Jenseitsvollendung, da sie das Ja zum Werk Christi in seinem innersten Gehalt, der Unterwerfung unter den Willen des Vaters, sprach. Das aber war ein Ja der Seele, in der Gottes Gnade wirkte. Weil diese Seele den Leib belebt, deshalb ist auch dem Leib seine Verklärung gegeben. So wird der Mensch seinen Leib der Erlösung Christi aussetzen müssen, indem seine Seele in Christus dem Vater dient im leibseelischen Kultus des sakramentalen Opfers, das ihm Programm für den leibseelischen Dienst seines ganzen in Christus erlösten Menschenlebens ist.
In dieser Ordnung kann der
Mensch schließlich auch Ja sagen zu einem zerfleischten Leib, wie Maria es tat,
da sie den entseelten Leib ihres Sohnes auf dem Schoße trug. Das Ja der
begnadeten Seele zum Willen Gottes gibt allem seinen Sinn, empfängt für alles die Erlösung, die Christus uns eropfert hat.
Das alles überdenkend, werden
wir bestätigt finden, was die Bischöfe Deutschlands in
dem schon einmal zitierten
Hirtenbrief geschrieben haben, „daß die Lehre von der leiblichen Aufnahme
Mariens in den Himmel den geistig ringenden Menschen unserer Zeit viel mehr
bedeutet, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Der Geist Gottes redet zu uns nicht von belanglosen Dingen. Seine
Wahrheit ist lebenzeugende Wahrheit. So soll auch aus dieser Lehre neues Leben
quellen".
Mariens Herrlichkeit. Mariens
leibliche Aufnahme als Dogma der Kirche, von Otto Semmelroth S. J.
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