Es fügt sich gerade, dass
vor wenigen Tagen in der Rheinischen Post, einer überregionalen Tageszeitung,
die in Düsseldorf erscheint, ein Artikel erschienen ist, der etwas nachtrauert,
das es so gut wie nicht mehr gibt. Unter der Überschrift „Die Jongererenkerk [die
Kirche der Jüngeren] ist älter geworden“ berichtet der Journalist Ludger Peters,
der in unmittelbarer Nachbarschaft der „Jongerenkerk“ [Jugendkirche]
aufgewachsen ist, wie die damalige Bewegung entstanden ist und was aus ihr
geworden ist. Peters schreibt als jemand, der sich jenem Ansinnen verbunden
fühlt. Freilich besteht die Gruppe um die Jongerenkerk hauptsächlich aus den
Jungen von damals.
Vor 50 Jahren initiierte
Kaplan Leo Brueren in Venlo in der leerstehenden Minderbroederskerk [Franziskanerkirche]
Messfeiern mit verständlichen Texten und modernen Gesängen. Daraus wurde die
weit über Venlo hinaus [auch nach Deutschland] wirkende Jongerenkerk.
Leer stehende Kirchen gibt
es heute vielerorts. Das Phänomen ist aber nicht neu. Mitte der 1960er-Jahre
stand im Herzen die kleine, unscheinbare Minderbroederskerk leer. Für die
Kirche der Franziskanermönche gab es augenscheinlich keine Verwendung mehr. Das
ließ Kaplan Leo Brueren von der Venloer St.-Martinus-Hauptpfarre keine Ruhe.
Brueren sann schon länger darüber nach, wie er jüngere Menschen wieder für den
Glauben begeistern könnte.
Er trug seine Idee,
Eucharistiefeiern anders, mehr jugendgerecht zu organisieren, dem Bischof vor.
Kaplan Brueren erhielt tatsächlich die Erlaubnis, in experimenteller Weise
abzuweichen von den strengen Riten. Brueren durfte in der Minderbroederskerk
Messen feiern, in denen nicht die traditionelle Liturgie mit ihren weltweit
einheitlichen Texten und der ebenfalls einheitliche Gesang gepflegt wurde.
Der Zuspruch junger
Menschen, die von der anderen Form der Messfeier angezogen wurden, die Texte
verstanden und selbst schrieben, die sich mit dem modernen, zeitgemäßen Gesang
befassten, war vorher schon vorhanden. Seit 1958 hatte der Kaplan immer mehr
junge Menschen mit unkonventioneller Ansprache an sich gebunden. Brueren inspirierte
sie, änderte behutsam althergebrachte Formen, verließ aber nie ganz den Pfad
der katholischen Kirche.
In der Minderbroederskerk
hielt er schließlich ab 1965 Sonntagsmessen. Das Vorbild dazu holte er sich aus
Duisburg, wo eine junge Gemeinde schon länger existierte. Niederländische Texte
auf Spirituals lockten immer mehr Menschen an. In der Kirche gab es nur
Stehplätze, angeblich besuchten zeitweilig Tausende Jugendliche die Messen um
10 Uhr. Es bildeten sich ein eigener Chor und ein Orchester. Kaplan Brueren
ging nun noch einen Schritt weiter: Frauen standen mit am Altar. Es
entwickelten sich Kontakte zu Bistümern in Südamerika, Afrika und Teilen
Asiens. Das Elende vieler Länder rückte so plötzlich näher an die lebenslustige
Jugend der Beat-Generation. Natürlich steigerte das alles die Sensationsgier
der Medien. Zeitungen und Zeitschriften berichteten, Fernsehsender
beschäftigten sich mit dem neuen Phänomen, das sich in Windeseile in den
Niederlande, Belgien und Deutschland ausbreitete und zunehmend auch Prominente
anlockte und zu Kommentaren herausforderte.
Konservative Priester und
Gläubige beäugten die "Jugendkirche" (Jongerenkerk) von Anfang an mit
Misstrauen und Ablehnung. Sie überschütteten sie - wenig christlich - mit
beißendem Spott, es gab auch handfeste Beschimpfungen und heftige
Grundsatzkritik. Die Bezeichnung "Zirkus Brueren" war noch eine
freundlichere Form des Hohns, der aber bei den jungen Leuten nicht verfing.
Denn weniger rückwärts
gewandte Priester folgten bald Bruerens Vorbild. Auch sie holten junge Menschen
ganz schlicht damit zurück in die Kirchen, indem sie den Glauben verständlicher
Sprache und mit Musikformen jener Zeit verkündeten. Vor allem auf deutscher
Seite gab es eine regelrechte Erneuerungswelle. Und nicht wenige junge Menschen
aus dem heutigen Nettetal zog es häufig nach Venlo in die Jongerenkerk. Sie
knüpften untereinander Kontakte in einer Zeit, in der auch die Wunden des
zwanzig Jahre vorher erst beendeten Kriegs versorgt werden konnten.
Das ist jetzt 50 Jahre
her. Kaplan Leo Brueren starb am 12. Januar 2012, knapp zwei Wochen, bevor er
87 Jahre wurde. Er wurde unter großer Anteilnahme in Venlo, das er nie verließ,
zur Grabe getragen. Noch einmal lebte dabei vielleicht jenes Lebensgefühl auf,
das seinerzeit so viele Menschen erfasst hatte. Anfangs waren es die
Jugendlichen, zunehmend aber ließen sich auch ältere Generationen anstecken.
Die Veränderungen durch das Zweite Vatikanische Konzil, das 1962 bis 1965
stattfand, nahm die Jongerenkerk dankbar auf. Der Enthusiasmus, mit dem die
Änderungen aufgenommen wurde, führte zu einer harschen Gegenbewegung. Der neue
Bischof von Roermond drehte das Rad zurück und griff hart gegen jene durch, die
seiner streng dogmatischen Linie nicht folgten. Es gab eine Reihe von
Amtsenthebungen im Bistum Roermond, aber die Jongerenkerk tastete der Bischof
nicht an. Er distanzierte sich zwar, vertraute aber Leo Bruerens Treue zur
Kirche.
Der blieb Kaplan und
lehnte mehrere Angebote ab, an anderen Orten Pfarrstellen zu übernehmen. Nicht
verhindern konnte die Bewegung, dass in den 1970er-Jahren der Schwung erheblich
nachließ. Nicht mehr Jugendliche, sondern Familien mit Kindern besuchten die
messen. Bald kamen zunehmend ältere Besucher - die Jugend der 1960er-Jahre.
Bis heute werden sonntags
um 10 Uhr in der Kirche Gottesdienste gefeiert. Der Stil änderte sich, passte
sich erneut an. Die zunehmende Abkehr von Religiosität auch in der Venloer
Gesellschaft ließ die aktive Gruppe und die Messbesucher abschmelzen. Dennoch
hat die Jongerenkerk ihren Platz als besonderer Ort von Religiosität behalten.
Quelle: RP, 20. April
2015, Grenzland Kurier Regional, C5;
Siehe auch: rp-online
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