Es lag eine große Spannung
in der Luft. Dem Superior war auch anzumerken, daß hier eine Tradition
gebrochen wurde – so war das subjektive Empfinden. Dazu kam, daß bis 1968
Marcel Lefebvre (1905–1991) Generaloberer
der Spiritaner war. Lefebvre war lange Jahre in der Afrikamission gewesen,
1948 Apostolischer Legat für die französichen Gebiete auf dem Schwarzen
Kontinent geworden und seit 1955 Erzbischof von Dakar im Senegal (6). 1960 war er in die Vorbereitungskommission
des Konzil berufen worden; dann war er als Generaloberer der CSSp
Konzilsteilnehmer. 1962 war er nach Europa zurückgekehrt, auch aus Protest
gegen die Afrikanisierung der Ortskirchen. Nach der Errichtung des „Tisches“
nun herrschte eines Tages große Aufregung im Klösterchen: der „Chef“ kommt zur
Visitation.
Wer Visitationen mitgemacht
hat, der weiß auch von den vorherigen Verbesserungen zu berichten. Das, was der
„Chef“ nicht sehen darf, wird versteckt und nach der Abreise wieder
hervorgeholt. Bloß nicht auffallen!,
das war damals in Broichweiden das Motto. Uns wurde von verschiedenen Patres
erzählt, da komme ein stockkonservativer
Bischof. Der Bereich Kirche/Sakristei war auch betroffen von heuchlerischen
Eingriffen in den wirklichen Alltag des Klosters. Am Tag vor der Ankunft
Lefebvres mußte der „Tisch“ weggeräumt werden. Ich erinnere mich noch ganz
genau, daß wir schwer zu schleppen hatten – in der Freizeit! Der Tisch wurde die
enge Sakristeitreppe zum Keller hinuntergezwängt. Hier würde wohl der „Chef“
nicht visitieren... Am nächsten Tag dann
begann die Visitation. Alle Schüler kamen zur hl. Messe in
die Klosterkirche, alle Patres und Brüder waren anwesend. Es begann ein
„Theaterstück“. Man hatte die „Bühne“
eigens auf „konservativ“ gestaltet.
Wir waren instruiert, wieder die Kommunionbank zu
benutzen.
Marcel Lefebvre zelebrierte die hl. Messe mit dem alten Missale Romanum. Er trug Pontifikalhandschuhe. Der Empfang der hl. Kommunion ging so vor sich: Man küßte zunächst den Bischofsring, dann wurde die hl. Hostie auf die Zunge gelegt.
Marcel Lefebvre zelebrierte die hl. Messe mit dem alten Missale Romanum. Er trug Pontifikalhandschuhe. Der Empfang der hl. Kommunion ging so vor sich: Man küßte zunächst den Bischofsring, dann wurde die hl. Hostie auf die Zunge gelegt.
Das war für alle Schüler
etwas Neues. Wenn sonst Missionsbischöfe zu Besuch kamen, dann feierten sie die
hl. Messe wie die Priester. Sie setzten sich zu uns in die Freizeiträume und
sprachen mit uns. Berührungsängste, wie man heute sagt, gab es zwischen
Bischöfen und Schülern nicht. Anders stellte sich der Lefebvre-Besuch dar:
Vielleicht auch durch die Schilderungen der Patres wirkte er fern – und er
bemühte sich auch nicht, diesen Eindruck zu vermeiden.
Als der
„Chef“ wieder weg war, mußte der „Tisch“ wieder aufgebaut werden.
Ich war nach Broichweiden
gegangen, weil ich Missionar werden wollte. Aber nach dem Besuch Lefebvres
stellte ich fest, daß ich nicht in einem
Orden leben könnte, der ein solches „Stückchen“ aufführte. Letztlich war die
moralische Autorität der Patres dahin.
Ein Schüler, der ehrlichen Herzen nach dem geistlichen
Beruf strebte, konnte sich nur von solchen „Vorbildern“ und „Pädagogen“
abwenden. Nach dem Abitur bin ich
dann Priester des Erzbistums Köln geworden.
Die Zeit der liturgischen Experimente hatte begonnen.
Zwei Patres setzten nun in
der Pastoral fast nur auf „Tischmessen“.
Man setzte sich um einen Tisch; es
wurden nicht die liturgischen Bücher verwendet, sondern selbstgemachte
Hochgebete. Als liturgische
Gewandung diente gerade noch die Stola. Was diese „Messen“ bewirken
sollten, ist damals nicht deutlich geworden. Man fühlte aber bald, daß eine „neue“ Theologie sich anbahnte:
der Mahlgedanke schob sich in den Vordergrund. Die bisherigen Hostien wurden
durch „Brothostien“ ersetzt. Das Sitzen
am Tisch sollte wohl das Letzte Abendmahl mimen, war aber bei Jugendlichen eher
als der Frömmigkeit Abbruch tuend zu werten.
In den Ferien, wenn ich
meinen geistlichen Onkel besuchte, berichtete ich über die liturgischen
Zustände im Kloster. Er legte mir auseinander, daß es nicht im Rahmen der
kirchlichen Ordnung sei, was dort zu großen Teilen geschehe. Bald auch schon wehrte sich „Rom“ gegen
diese Experimente. Am 29.12.1966 nahm die Ritenkongregation Stellung: „Seit
einiger Zeit bringen einige Tageszeitungen ihren Lesern Mitteilungen, ja
Bildberichte von liturgischen Veranstaltungen, vor allem von Eucharistiefeiern,
die dem katholischen Kult fremd sind und geradezu unwahrscheinlich anmuten, wie
z. B. 'eucharistische Abendmahlfeiern im Familienkreis', die in Privatwohnungen
mit anschließendem Essen gefeiert werden; Meßfeiern mit ungewöhnlichen und
willkürlichen Riten, Gewändern und Gebetstexten, die mitunter von Musikstücken
ganz profanen und weltlichen Charakters begleitet werden, der einer heiligen
Handlung nicht würdig ist. Alle diese kultischen Veranstaltungen, die auf
private Initiative zurückgehen, zielen verhängnisvoll dahin, die Liturgie zu
profanieren, die lauterster Ausdruck jenes Kultes ist, der Gott von der Kirche
dargebracht wird“ (7).
6 Am 2. Juli 1988 stellte das Schreiben „Ecclesia
Dei adflicta“ die Exkommunikation Lefebvres fest, bot ihm aber auch an, wieder
in Frieden mit dem Papst zu leben (DH 4820–4823).
7 Die Glaubenskongregation warnte am 24. Juli
1964 vor der Aushöhlung der Lehre vom Messopfer zugunsten von „agapes“.
(Dr. theol. Joseph Overath)
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