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Montag, 27. April 2015

So war es. - Ein Sakristan erlebt die Liturgiereform. (5/8)

(siehe auch HIER)
 
Es lag eine große Spannung in der Luft. Dem Superior war auch anzumerken, daß hier eine Tradition gebrochen wurde – so war das subjektive Empfinden. Dazu kam, daß bis 1968 Marcel Lefebvre (1905–1991) Generaloberer der Spiritaner war. Lefebvre war lange Jahre in der Afrikamission gewesen, 1948 Apostolischer Legat für die französichen Gebiete auf dem Schwarzen Kontinent geworden und seit 1955 Erzbischof von Dakar im Senegal (6). 1960 war er in die Vorbereitungskommission des Konzil berufen worden; dann war er als Generaloberer der CSSp Konzilsteilnehmer. 1962 war er nach Europa zurückgekehrt, auch aus Protest gegen die Afrikanisierung der Ortskirchen. Nach der Errichtung des „Tisches“ nun herrschte eines Tages große Aufregung im Klösterchen: der „Chef“ kommt zur Visitation.

Wer Visitationen mitgemacht hat, der weiß auch von den vorherigen Verbesserungen zu berichten. Das, was der „Chef“ nicht sehen darf, wird versteckt und nach der Abreise wieder hervorgeholt. Bloß nicht auffallen!, das war damals in Broichweiden das Motto. Uns wurde von verschiedenen Patres erzählt, da komme ein stockkonservativer Bischof. Der Bereich Kirche/Sakristei war auch betroffen von heuchlerischen Eingriffen in den wirklichen Alltag des Klosters. Am Tag vor der Ankunft Lefebvres mußte der „Tisch“ weggeräumt werden. Ich erinnere mich noch ganz genau, daß wir schwer zu schleppen hatten – in der Freizeit! Der Tisch wurde die enge Sakristeitreppe zum Keller hinuntergezwängt. Hier würde wohl der „Chef“ nicht visitieren... Am nächsten Tag dann begann die Visitation. Alle Schüler kamen zur hl. Messe in die Klosterkirche, alle Patres und Brüder waren anwesend. Es begann ein „Theaterstück“. Man hatte die „Bühne“ eigens auf „konservativ“ gestaltet.
Wir waren instruiert, wieder die Kommunionbank zu benutzen. 
Marcel Lefebvre zelebrierte die hl. Messe mit dem alten Missale Romanum. Er trug Pontifikalhandschuhe. Der Empfang der hl. Kommunion ging so vor sich: Man küßte zunächst den Bischofsring, dann wurde die hl. Hostie auf die Zunge gelegt.

Das war für alle Schüler etwas Neues. Wenn sonst Missionsbischöfe zu Besuch kamen, dann feierten sie die hl. Messe wie die Priester. Sie setzten sich zu uns in die Freizeiträume und sprachen mit uns. Berührungsängste, wie man heute sagt, gab es zwischen Bischöfen und Schülern nicht. Anders stellte sich der Lefebvre-Besuch dar: Vielleicht auch durch die Schilderungen der Patres wirkte er fern – und er bemühte sich auch nicht, diesen Eindruck zu vermeiden.
 Als der „Chef“ wieder weg war, mußte der „Tisch“ wieder aufgebaut werden.

Ich war nach Broichweiden gegangen, weil ich Missionar werden wollte. Aber nach dem Besuch Lefebvres stellte ich fest, daß ich nicht in einem Orden leben könnte, der ein solches „Stückchen“ aufführte. Letztlich war die moralische Autorität der Patres dahin.

Ein Schüler, der ehrlichen Herzen nach dem geistlichen Beruf strebte, konnte sich nur von solchen „Vorbildern“ und „Pädagogen“ abwenden. Nach dem Abitur bin ich dann Priester des Erzbistums Köln geworden.

Die Zeit der liturgischen Experimente hatte begonnen.
Zwei Patres setzten nun in der Pastoral fast nur auf „Tischmessen“. Man setzte sich um einen Tisch; es wurden nicht die liturgischen Bücher verwendet, sondern selbstgemachte Hochgebete. Als liturgische Gewandung diente gerade noch die Stola. Was diese „Messen“ bewirken sollten, ist damals nicht deutlich geworden. Man fühlte aber bald, daß eine „neue“ Theologie sich anbahnte: der Mahlgedanke schob sich in den Vordergrund. Die bisherigen Hostien wurden durch „Brothostien“ ersetzt. Das Sitzen am Tisch sollte wohl das Letzte Abendmahl mimen, war aber bei Jugendlichen eher als der Frömmigkeit Abbruch tuend zu werten.

In den Ferien, wenn ich meinen geistlichen Onkel besuchte, berichtete ich über die liturgischen Zustände im Kloster. Er legte mir auseinander, daß es nicht im Rahmen der kirchlichen Ordnung sei, was dort zu großen Teilen geschehe. Bald auch schon wehrte sich „Rom“ gegen diese Experimente. Am 29.12.1966 nahm die Ritenkongregation Stellung: „Seit einiger Zeit bringen einige Tageszeitungen ihren Lesern Mitteilungen, ja Bildberichte von liturgischen Veranstaltungen, vor allem von Eucharistiefeiern, die dem katholischen Kult fremd sind und geradezu unwahrscheinlich anmuten, wie z. B. 'eucharistische Abendmahlfeiern im Familienkreis', die in Privatwohnungen mit anschließendem Essen gefeiert werden; Meßfeiern mit ungewöhnlichen und willkürlichen Riten, Gewändern und Gebetstexten, die mitunter von Musikstücken ganz profanen und weltlichen Charakters begleitet werden, der einer heiligen Handlung nicht würdig ist. Alle diese kultischen Veranstaltungen, die auf private Initiative zurückgehen, zielen verhängnisvoll dahin, die Liturgie zu profanieren, die lauterster Ausdruck jenes Kultes ist, der Gott von der Kirche dargebracht wird“ (7).

6 Am 2. Juli 1988 stellte das Schreiben „Ecclesia Dei adflicta“ die Exkommunikation Lefebvres fest, bot ihm aber auch an, wieder in Frieden mit dem Papst zu leben (DH 4820–4823).
7 Die Glaubenskongregation warnte am 24. Juli 1964 vor der Aushöhlung der Lehre vom Messopfer zugunsten von „agapes“.

(Dr. theol. Joseph Overath)


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