Die Schule war bestimmt, um
Priester zu werben – wer dort eintrat, erklärte eigentlich, er wolle einmal
Spiritaner werden. So war es für viele Schüler selbstverständlich, daß sie sich
intensiver mit religiösen Fragen beschäftigten.
Die Privatmessen nahmen ab; das war die erste „Frucht“
des Konzils, wie es
viele Patres verstanden.
Zugleich verschwand – quasi über Nacht – das
Ordenskleid und
wurde durch geschmacklose „Junggesellenkleidung“
ersetzt – das alles im Gegensatz zu kirchlichen Gesetzen.
Der Pater, der als erster in „Zivil“ einherging, legte
später sein Priestertum nieder und heiratete – die „Externen“ hatten ihn schon lange vorher
gesehen wie er auf Freiersfüßen wandelte – im frommen Haus ein Skandal erster
Güte.
Uns Schülern wurde über
diese und ähnliche Vorfälle kaum Aufklärung gegeben. Schon bald regte sich aber
ein erster Widerstand. Als ich zu den Weihnachtsferien 1965 nach Hause kam, las
die Familie ein kleines Heft „Der Knecht
des Tilly“, das ohne Verfasser war und angeblich aus Altötting stammte;
dort war ja Tilly, der Katholikenführer des Dreißigjährigen Krieges begraben.
Die Befürworter einer Liturgiereform
nannte der „Tilly“ schlichtweg „Nationalkatholiken“
und er kritisierte sie als Feinde des
Hochaltares, des Tabernakels, einer Kommunionbank, der lateinischen Liturgiesprache,
der Kniebeuge vor Gott und des Gregorianischen Chorals. Er berief sich auf
einschlägige Texte der Liturgiekonstitution, die für ihn das „Grundgesetz“
darstellte. Das Heft, so polemisch es auch an manchen Stellen formulierte,
wollte nichts anderes als das Konzil zur Durchführung bringen – und nicht
dessen imaginären „Geist“.
Der Hochaltar war ja vielerorts durch einen
„Konzilsaltar“ ersetzt worden. Tilly kommentierte: „Das hl. Mysterium oder die hl.
Geheimnisse sind nicht mehr zeitgemäß. Show und Publicity stehen im Vordergrund
...“. Der Priester schaue nun nicht mehr nach Osten, d. h. nach der aufgehenden
Sonne Christus, sondern es finde ein „...Kulturbolchewismus in der Kirche...“
statt. Aus dem Tabernakel sei ein
„Brotschrank“ geworden; tatsächlich sagten damals Priester, dort seien die
„Mahlreste“ abgestellt... Tilly sagt
dann in voller Übereinstimmung mit dem damaligen Papst: „Es ist bedrückend,
wenn man die Überbetonung von 'Mahl' und 'Tischherr' hört. Das Konzil von
Trient lehrt ausdrücklich, daß alle ausgeschlossen sind, die behaupten, die hl.
Messe sei in erster Linie ein Mahl und nicht Opfer...“(4)
Und sehr deutlich war auch die Aussage: „Haben diese Nationalkatholiken jemals
einen Tischherrn gesehen, der Gottessohn war und der seinen Gästen sein Fleisch
und Blut zur Speise und zum Tranke gereicht hat? Was soll also diese
Profanierung?“ Die Klage des Tilly berührt auch den Verlust der lateinischen
Sprache. Er polemisiert gegen die deutschen Hochämter, die für ihn den
Charakter einer „...Drei-Groschen-Oper...“ haben. Es spricht aber eine große
Liebe zu Rom aus dem Heft. Tilly erinnert, daß ein Katholik die Buchstaben
„ROMA“ herumdrehen darf und dann „AMOR“ erkennt.
Besondere Kritik müssen die Priester einstecken, die Tilly als „Neuerer“ bezeichnet. „Je fanatischer ein solcher im Liturgismus ist, um so erbärmlicher ist meistens seine Predigt“. Der Predigtstuhl werde ersetzt durch das „Amböchen“ oder „Lesepültchen“. Er kommt zum Resümee: „Der Damm ist gebrochen, die wüsten Verzerrungen werden m. E. von Jahr zu Jahr mehr sichtbar, und wir werden uns später gerne an das Wort des Herrn erinnern: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!“. Es finde schon jetzt der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort statt.
Man war als Schüler durch dieses Heftchen schockiert – man erkannte, daß das Konzil eigenwillig interpretiert wurde. Und man sah in Frage gestellt, was man im guten Religionsunterricht lernte: Der hl. Geist leitet die Konzilsväter. „Der Knecht des Tilly“ war ein literarisches Produkt, das den Unmut vieler treuer Katholiken formulierte. Es ging nicht „gegen“ die Bischöfe, aber man merkte durchaus, daß „etwas nicht stimmte“. Wenn auch der Verfasser nicht bekannt ist, so sprach hier ein „einfacher“ Katholik. Es war jemand, der seinen „überlieferten“ Glauben nicht aufgeben wollte.
Die Zeit im Jahr 1965 war noch nicht reif für eine tiefere Kritik an den Zuständen, die der „Geist“ des Konzils heraufbeschworen hatte. Erst einige Jahre später meldeten sich Jacques Maritain und Dietrich von Hildebrand zu Wort (5). Das aber ist hier nicht das Thema.
4 Sehr gut hat das Problem, das die Jahre nach
dem Konzil immer da war, beschrieben: Paul Hacker: „Tischgemeinschaft mit dem
Auferstandenen“. Eine problematische Redensart, in: UVK 5 (1975) 11–20; 73–85.
5 Vgl. hierzu meine Arbeiten: Der katholische
Philosoph Dietrich von Hildebrand als Kritiker der Liturgiereform, in: ThGl 69
(1979) 415–431; Im Abstand von 30 Jahren – Zum Verhältnis von „Fides et Ratio“
und Dietrich von Hildebrands Buch „Das Trojanische Pferd in der Stadt Gottes“,
in: Theologisches 29 (1999) 623–640.
(Dr. theol. Joseph Overath)
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