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Freitag, 24. April 2015

So war es. - Ein Sakristan erlebt die Liturgiereform. (3/8)

Doch schon bald nach der Liturgiereform vom 7. März 1965 meinten manche Patres auf die tägliche hl. Messe verzichten zu sollen und nahmen als „Laien“, wie wir es ausdrückten, an der Schulmesse teil, die wir jeden Tag besuchen mußten. Die Schüler empfanden das zunächst einmal als lästig – stand doch nun ein „Aufpasser“ mehr hinter ihnen! Im Herbst 1965 mahnte Papst Paul VI. in seiner Enzyklika „Mysterium Fidei“ an, daß die Privatmessen ebenso wichtig sind wie die Gemeinschaftsmessen. Ich habe nicht erkennen können, daß diese Mahnung gefruchtet hat – das Papstschreiben war in unserer Familie vorhanden und ich habe es in den Ferien auch gelesen.

Die Schule war bestimmt, um Priester zu werben – wer dort eintrat, erklärte eigentlich, er wolle einmal Spiritaner werden. So war es für viele Schüler selbstverständlich, daß sie sich intensiver mit religiösen Fragen beschäftigten.

Die Privatmessen nahmen ab; das war die erste „Frucht“ des Konzils, wie es viele Patres verstanden.
Zugleich verschwand – quasi über Nacht – das Ordenskleid und wurde durch geschmacklose „Junggesellenkleidung“ ersetzt – das alles im Gegensatz zu kirchlichen Gesetzen.
Der Pater, der als erster in „Zivil“ einherging, legte später sein Priestertum nieder und heiratete – die „Externen“ hatten ihn schon lange vorher gesehen wie er auf Freiersfüßen wandelte – im frommen Haus ein Skandal erster Güte.

Uns Schülern wurde über diese und ähnliche Vorfälle kaum Aufklärung gegeben. Schon bald regte sich aber ein erster Widerstand. Als ich zu den Weihnachtsferien 1965 nach Hause kam, las die Familie ein kleines Heft „Der Knecht des Tilly“, das ohne Verfasser war und angeblich aus Altötting stammte; dort war ja Tilly, der Katholikenführer des Dreißigjährigen Krieges begraben. Die Befürworter einer Liturgiereform nannte der „Tilly“ schlichtweg „Nationalkatholiken“ und er kritisierte sie als Feinde des Hochaltares, des Tabernakels, einer Kommunionbank, der lateinischen Liturgiesprache, der Kniebeuge vor Gott und des Gregorianischen Chorals. Er berief sich auf einschlägige Texte der Liturgiekonstitution, die für ihn das „Grundgesetz“ darstellte. Das Heft, so polemisch es auch an manchen Stellen formulierte, wollte nichts anderes als das Konzil zur Durchführung bringen – und nicht dessen imaginären „Geist“.

Der Hochaltar war ja vielerorts durch einen „Konzilsaltar“ ersetzt worden. Tilly kommentierte: „Das hl. Mysterium oder die hl. Geheimnisse sind nicht mehr zeitgemäß. Show und Publicity stehen im Vordergrund ...“. Der Priester schaue nun nicht mehr nach Osten, d. h. nach der aufgehenden Sonne Christus, sondern es finde ein „...Kulturbolchewismus in der Kirche...“ statt. Aus dem Tabernakel sei ein „Brotschrank“ geworden; tatsächlich sagten damals Priester, dort seien die „Mahlreste“ abgestellt... Tilly sagt dann in voller Übereinstimmung mit dem damaligen Papst: „Es ist bedrückend, wenn man die Überbetonung von 'Mahl' und 'Tischherr' hört. Das Konzil von Trient lehrt ausdrücklich, daß alle ausgeschlossen sind, die behaupten, die hl. Messe sei in erster Linie ein Mahl und nicht Opfer...“(4) Und sehr deutlich war auch die Aussage: „Haben diese Nationalkatholiken jemals einen Tischherrn gesehen, der Gottessohn war und der seinen Gästen sein Fleisch und Blut zur Speise und zum Tranke gereicht hat? Was soll also diese Profanierung?“ Die Klage des Tilly berührt auch den Verlust der lateinischen Sprache. Er polemisiert gegen die deutschen Hochämter, die für ihn den Charakter einer „...Drei-Groschen-Oper...“ haben. Es spricht aber eine große Liebe zu Rom aus dem Heft. Tilly erinnert, daß ein Katholik die Buchstaben „ROMA“ herumdrehen darf und dann „AMOR“ erkennt.

Besondere Kritik müssen die Priester einstecken, die Tilly als „Neuerer“ bezeichnet. „Je fanatischer ein solcher im Liturgismus ist, um so erbärmlicher ist meistens seine Predigt“. Der Predigtstuhl werde ersetzt durch das „Amböchen“ oder „Lesepültchen“. Er kommt zum Resümee: „Der Damm ist gebrochen, die wüsten Verzerrungen werden m. E. von Jahr zu Jahr mehr sichtbar, und wir werden uns später gerne an das Wort des Herrn erinnern: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen!“. Es finde schon jetzt der Greuel der Verwüstung am heiligen Ort statt.

Man war als Schüler durch dieses Heftchen schockiert – man erkannte, daß das Konzil eigenwillig interpretiert wurde. Und man sah in Frage gestellt, was man im guten Religionsunterricht lernte: Der hl. Geist leitet die Konzilsväter. „Der Knecht des Tilly“ war ein literarisches Produkt, das den Unmut vieler treuer Katholiken formulierte. Es ging nicht „gegen“ die Bischöfe, aber man merkte durchaus, daß „etwas nicht stimmte“. Wenn auch der Verfasser nicht bekannt ist, so sprach hier ein „einfacher“ Katholik. Es war jemand, der seinen „überlieferten“ Glauben nicht aufgeben wollte.  

Die Zeit im Jahr 1965 war noch nicht reif für eine tiefere Kritik an den Zuständen, die der „Geist“ des Konzils heraufbeschworen hatte. Erst einige Jahre später meldeten sich Jacques Maritain und Dietrich von Hildebrand zu Wort (5). Das aber ist hier nicht das Thema.

4 Sehr gut hat das Problem, das die Jahre nach dem Konzil immer da war, beschrieben: Paul Hacker: „Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen“. Eine problematische Redensart, in: UVK 5 (1975) 11–20; 73–85.
5 Vgl. hierzu meine Arbeiten: Der katholische Philosoph Dietrich von Hildebrand als Kritiker der Liturgiereform, in: ThGl 69 (1979) 415–431; Im Abstand von 30 Jahren – Zum Verhältnis von „Fides et Ratio“ und Dietrich von Hildebrands Buch „Das Trojanische Pferd in der Stadt Gottes“, in: Theologisches 29 (1999) 623–640.

(Dr. theol. Joseph Overath)



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