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Mittwoch, 22. April 2015

So war es. - Ein Sakristan erlebt die Liturgiereform. (1/8)

Zwischen Missale Romanum und Sacramentarium Mimeographicum.
Ein Sakristan erlebt die Liturgiereform.  Von Pfarrer Dr. Joseph Overath.
(Hervorhebungen von mir)

Die für die meisten Kirchgänger deutlichste Reform des II. Vatikanums war die Liturgiereform. Der Verfasser dieser Zeilen besuchte von 1963 bis 1971 das altsprachliche Heilig-Geist-Gymnasium der Spiritanermissionare in Broichweiden bei Aachen. Es war üblich, daß jeder interne Schüler ein „Amt“ hatte, d.h. die anfallenden Hausarbeiten wurden neben der Schule von Schülern bestritten. Diese „Ämter“ wurden auch vergeben unter dem Aspekt der Disziplinierung; so war die Zuteilung des „Amtes“ der Toilettenreinigung sicher auch ein Mittel, unbequeme Schüler zu strafen. Im fraglichen Zeitraum zwischen 1963 und 1968 war ich des öfteren Sakristan, aber auch wegen Maßnahmen der Disziplinierung mit dem „Amt“ des Toilettenreinigers befaßt. Die Liturgiereform konnte ich aus erster Hand miterleben. Der Titel drückt aus, daß damals das überlieferte Meßbuch buchstäblich zerschnitten wurde und an seine Stelle mehr fliegende Blätter kamen. Schließlich war für lange Zeit so etwas wie ein „Sacramentarium Mimeographicum“ (ein Sakramentar, das aus abgezogenen, vervielfältigten Blättern bestand) in Gebrauch. Das neulateinische Wort „mimeographia“ meint Matritze.

Es geht nicht um Erinnerungen, sondern um die Aufzählung der damaligen Ereignisse – dabei stütze ich mich auf Tagebücher, auf Material aus dem Familienbesitz, auf Bücher und Hefte, die damals Widerstand gegen die Reform anmeldeten, insoweit sie nicht durch die Konzilstexte selbst legitimiert war.

Ein erstes Stichwort ist das Konzil selbst. Daß ein Konzil in Rom stattfand, hörten wir oft in den Sonntagspredigten. Dort wurden alle Reformwünsche ausgebreitet, die im Klerus vorhanden waren. Es kamen auch Witze auf, die die Sache auf den Punkt brachten: beim günstigen Ausgang des Konzils etwa, könne der Pfarrer seine Köchin heiraten; oder später bei der Liturgiereform hieß es „Lasset uns schon mal blättern“ – der arme Zelebrant wußte nicht, wie es weiterging in der heiligen Handlung. Hubert Jedin hatte bereits 1959 seine „Kleine Konziliengeschichte“ (1) herausgegeben, die ich später als Gymnasiast gelesen habe. Dort heißt es: „Kein Irrtum unserer Zeit ist schwerwiegender als die Verzerrung, ja Vernichtung des christlichen Menschenbildes unter dem Einfluß atheistischer Gesellschaftslehren. Keine Glaubenswahrheit verlangt in unserer 'Zeit der Kirche' so sehr nach einer Präzisierung wie der Kirchenbegriff“. 

Die Wünsche und Erwartungen waren hoch, nachdem der sel. Johannes XXIII. das II. Vatikanum einberufen hatte. Dessen Eröffnung am 11. Oktober 1962 wurde vom Fernsehen übertragen; doch ein Fernseher war damals nicht in jeder Wohnung vorhanden. Wir versammelten uns bei einem Onkel und schauten gemeinsam die Feier an. Man war beeindruckt von der großen Zahl der Bischöfe, die in den Petersdom zogen – man kannte ja einen Bischof nur von der Firmung her, dann auch von gelegentlichen Besuchen im Kölner Dom.  

Aber das Konzil war nicht ein fernes Ereignis. Mein geistlicher Onkel, Prälat Johannes Overath, war die ganze Konzilszeit über als Peritus tätig mit dem Arbeitsschwerpunkt Kirchenmusik. Er schenkte uns Kindern immer die wertvollen Briefumschläge mit den Vatikanmarken und dem lateinischen Absender „Sacrosanctum Concilium Vaticanum secundum“. Später dann brachte er uns Stimmkarten mit, Lochkarten aus Probeabstimmungen. All das wurde gehütet wie ein heiliger Schatz – bis heute. 1963 ging es als Interner nach Broichweiden. Im gleichen Jahr feierten die Eltern ihre Silberhochzeit und pilgerten nach Rom. Sie waren anwesend bei der Eröffnung der II. Session der Kirchenversammlung – bis heute liegt noch der deutsche Text Papst Paul VI. vor, damals wohl für die Presse hektographiert (2).

1 Hubert Jedin: Kleine Konziliengeschichte. Die zwanzig Ökumenischen Konzilien im Rahmen der Kirchengeschichte. Freiburg 1959, 130.
2 Sacrosanctum Oecumenicum Concilium Vaticanum II: Constitutiones, Decreta, Declarationes. Vatikanstadt 1966, 992 ff.

(Dr. theol. Joseph Overath)


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