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Donnerstag, 30. April 2015

So war es. - Ein Sakristan erlebt die Liturgiereform. (8/8)

Die Erlebnisse mit der Liturgiereform sind die eine Seite, eine andere Seite war die damalige Theologie und der Religionsunterricht. Auch hier kamen die Dinge zur Sprache, die das Konzil ins Rollen gebracht hatte. Die Reformen wurden von vielen Menschen als lieblos bezeichnet. Pater Seipolt hatte zu Recht geschrieben: „Nur gilt es aber als lieblos, einen König, der abdanken mußte, gleich des Landes zu verweisen“ – das sagte er im Hinblick auf das Latein. Menschen, die sich auf das Konzil beriefen, wurden als „Konservative“ abgestempelt. Die, die das Konzil anders verstanden, hatten die Medien in ihrer Hand. Und sie eroberten sich flugs die Hohheit über die öffentliche Meinung in der Kirche durch Produkte wie etwa das „Kleine Konzilskompendium“ von Karl Rahner und Heribert Vorgrimler (11). Karl Rahner gehörte zu den damals allzeit gegenwärtigen Theologen. Wir hatten ein Religionsbuch „Kirchengeschichte in Längsschnitten“ (12), das uns diesen Theologen mit einem großen Bild vorstellte und einem langen Text aus dessen Feder, den wir lesen mußten. Rahner war mir indessen nicht nur durch den Unterricht bekannt. Er sprach des öfteren im Fernsehen. Und ein Nachbar kommentierte einmal: „Wenn der spricht, dann kannst du nur raten: Bock oder Geiß“, d.h. dessen Deutsch ist für einen „normalen“ Bundesbürger nicht zu verstehen. Rahners Konzilskompendium war damals auch in der Kritik. Dort war über die Kirchenmusik zu lesen, sie habe ein esoterisches Wesen und sei kaum mit dem Wesen der Liturgie in Übereinstimmung zu bringen (13).


Dann wurden die Kirchenmusiker angegriffen, die sich gegen die falsche Auslegung des Konzils zur Wehr gesetzt hatten. Mein Onkel war auch gemeint. In einem Vortrag wehrte er sich: „Wieviele Schwierigkeiten mögen durch solche weder mit dem Konzilstext noch mit der Sache selbst zu vereinbarenden Kommentare dem Kirchenmusiker und seinem Chor in den Pfarrgemeinden während der letzten Jahre nach dem Konzil entstanden sein!“ (14). Und er führte ein langes Zitat des Dogmatikers Joseph Ratzinger an, der von einer erschreckenden Verarmung der Liturgie seit dem Konzil sprach. Wir mußten in der Schule auch lernen, die Kirche habe durch das Vatikanum II. den früheren Triumphalismus abgelegt. Das heutige Selbstverständnis der Kirche hebe sich wohltuend von dem alten ab (15). Ähnliches wurde auch durch den Holländischen Katechismus propagiert (16), der von vielen Patres als Grundlage der Diskussion angesehen wurde – Broichweiden liegt nur wenige Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt und die Gedanken drangen schnell in den Konvent.

Wir können hier schließen, denn 1968 stellt eine Zäsur in der Rezeption des Konzils dar. Die Enzyklika „Humanae vitae“ und auch das „Credo des Gottesvolkes“ klärten die Fronten.


11 Vgl. meine Ausführungen: Frühe Kritiker Karl Rahners nach dem Vaticanum II. in: David Berger (Hrsg.): Karl Rahner – Kritische Annäherungen, Siegburg 2004, 451–477.
12 Alfred Läpple (Hrsg.): Kirchengeschichte in Längsschnitten. München 1968, 225; Teilhard de Chardin war ebenfalls mit einem Großporträt (221) vorhanden, die Tradition trat demgegenüber ins zweite Glied zurück.
13 Konzilskompendium 48.
14 Johannes Overath: Musik im Dienste des Heiligen, in: Kirchenmusik im Gespräch (= Schriftenreihe des ACV, Bd. 12) Bonn 1976, 106–107.
15 Läpple 125.
16 Vgl. mein: Das Verständnis von Kirchengeschichte im „Holländischen Katechismus“, in: ders.: Mehr als nur Jahreszahlen. Von Wert der Kirchengeschichte für die Seelsorge. Abensberg (Auslieferung über fe-Medien, Kisslegg) 145 ff.

(Dr. theol. Joseph Overath)

Quelle:


THEOLOGISCHES, 35.Jg. Heft 12, Dezember 2005
( = Themenheft 40 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil), Sp. 831-840. 





1 Kommentar:

  1. Vielen herzlichen Dank! Ich finde es hochnotwendig, sich mit solchen "Zeitzeugnissen" zu befassen - zumal dann, wenn es sich einmal nicht um Zeugnisse der üblichen Konzilsbegeisterten handelt (wobei diese für uns heute natürlich auch interessant sind, aber davon gibt es Material genug)!

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