Der Schweizer Diplomat Carl Jakob Burckhardt
über Papst Johannes XXIII.:
„Ich empfinde viel Anteil
für den Papst. Während meiner ganzen Pariser Zeit hatte ich sehr viel
persönlichen Kontakt mit ihm, ich hatte ihn ausgesprochen gern.
Er ging in die Welt wie ein junger Attache, man traf ihn überall, vor allem auch im M. R. P.-Salon
der erstaunlichen Madame Abrami. Wiederholt ließ er mich in die Nuntiatur
kommen, oder er suchte mich auf, wir führten eingehende Gespräche, meist sachlicher
Art über zu erledigende Aktualitäten.
Er ist weltklug, hätte einen industriellen
Konzern leiten können, er ist ein äußerst wohlmeinender
und bauernschlauer Bergamaske, er
ist von solider Frömmigkeit, im
abgekürzten Stil; - aber mir scheint, sein gesunder Menschenverstand - auf
kurze Sicht genau, auf lange Sicht wohl nicht sehr scharf - lasse ihn den Wert
gewisser unzeitgemäßer, spezifisch katholischer Arkane verkennen. Die Fähigkeit
des Wunderglaubens, die Scheu vor dem Sakralen sind seine Sache nicht.
Er ist ein gottesgläubiger Rationalist, mit schönstem Streben der sozialen Gerechtigkeit
dienend, wobei er die Neigung hat, allen ähnlichen Bestrebungen aus ganz entgegengesetzten Lagern weitgehend die
Hand zu reichen. Es ist, ohne daß er es weiß, viel vom Gedankengut des 18.
Jahrhunderts in ihm, mit einer nachwirkenden Risorgimentostimmung verbunden.
Er ist gütig, offen,
humorvoll, sehr fern vom christlichen Mittelalter; auf dem Wege über die
französischen „Philosophen" ist er zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie
die Reformatoren, ohne ihre metaphysische Passion.
Er wird viel verändern, nach ihm wird die Kirche nicht
mehr dieselbe sein. Vielleicht wird
er am Ende seiner Tage die Furcht kennen lernen.
Liebenswert, auch
bewundernswert bleibt er."
Aus: Briefwechsel zwischen
Max Rychner und Carl J. Burckhardt, herausgegeben von Claudia Mertz-Rydmer (S. Fischer
Verlag).
(Quelle: Una Voce
Korrespondenz 1973, 147)
Sehr interessant - erhellt einiges!
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