Heilig-Kreuz Münster, 14. Februar um 09:57
Liebe Freunde unserer Facebookseite,
an diesem Wochenende habe ich den Gemeindemitgliedern
mitgeteilt, dass ich auf meinen Wunsch hin ab Ostermontag vom Bischof als
Pfarrer entpflichtet und als Priester beurlaubt werde. Ich werde weiterhin
Priester bleiben, mich aber zunächst einmal für einige Zeit in Kloster
zurückziehen. Meine Beweggründe habe ich in dem folgenden Text zusammengefasst.
?Kurskorrektur!
Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Eine Geburt in
stabile familiäre, soziale und gesellschaftliche Verhältnisse. Eine Berufung
und Begabung zu einem Dienst in einer Glaubensgemeinschaft gaben mir Halt und
Orientierung. Ich hatte die Möglichkeit zu suchen und habe gefunden.
An allen Orten, an denen ich als Priester wirken konnte, war
ich so, dass ich auf nichts anderes gewartet habe. Innere und äußere Umstände
führten zu einer hohen Zufriedenheit. Hätten meine Vorgesetzten mich dort
´vergessen´, wäre es eine gute Zeit geworden.
Persönlichen Neigungen konnte ich nachgehen, sei es beim
Studium der Kunstgeschichte oder bei Reisen. Ich habe Freude an Vielem und habe
sie auch noch, die Freude am Schönen.
Aber es stellt sich mir verstärkt die Frage: Wofür lebe ich?
Die Veränderungen im Verhältnis der Gesellschaft zur Kirche,
aber auch das Verhalten der Mitglieder in ihr, haben zu einer schrittweisen
Veränderung bei mir geführt. Solange ich lebe, kenne ich nur eine schwindende
Zahl bei den in der Kirche Aktiven und eine wachsende bei den
Kirchenaustritten. Die Reaktionen auf dieses Phänomen sind bei Kirchenleitung,
Gemeindeleitung und in den Gemeindegremien sehr ähnlich. Gemeinden, Seminare
und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige
weiterzumachen.
Als ich 1980 mit dem Studium begann hieß es, die
Nachwuchszahlen gehen bergauf. Das anschließende Sinken wurde mit der sinkenden
Geburtenrate erklärt. Als der Rückgang erheblich unter den der Geburtenrate
sackte, gab es den Trost, dass die Zahl der Priester im Verhältnis zu den
Gottesdienstbesuchern höher sei als noch vor Jahren und weltweit sowieso. Der
z.T. hohe Einsatz von Priestern der Weltkirche, ermöglicht durch die
Kirchensteuer, überbrückte wiederum einige Jahre. Inzwischen steuern die
Eintrittszahlen in den Seminaren mancherorts auf eine Null-Linie zu. Wir
gestalten die Zukunft von Kirche in den Gemeinden immer noch nach dem Modell
der Vergangenheit. Auch ich habe dafür nicht die eine Lösung parat. Was
erwarten wir von den Männern, die sich in dieser Situation auf den Weg machen,
um Priester zu werden. Kann man dafür guten Gewissens noch werben?
Es besteht bei den Antworten auf die Fragen, die sich uns in
dieser Umbruchszeit stellen, kein Konsens. Hinsichtlich des Pastoralplans für
unsere Gemeinde kam auf die Frage „Was wünschen sie sich für die Zukunft?“ auch
die Antwort „Das alles wieder so ist wie vor 30 Jahren“. Diese Antwort halte
ich für die ehrlichste, die mehrheitsfähigste und eine, die ich sogar
nachvollziehen kann. Und doch ist es diejenige, deren Wunsch am
unwahrscheinlichsten in Erfüllung gehen wird. In was für einem Dilemma befinden
wir uns, wenn Wunsch und Wirklichkeit so eklatant im Widerspruch stehen?
Unsere zahlreichen Kindergärten und Schulen werden als
Chance der Glaubensverkündigung gesehen. Ist diese Hoffnung in den letzten
Jahrzehnten in Erfüllung gegangen? Ich halte auch hier die Hoffnung, die sich
an dieses Projekt bindet, für unrealistisch - die Arbeit an sich ist gut und
richtig. Ich stelle die Frage an das Modell, das kaum die Erwartungen erfüllt,
nicht an das Personal, nicht an das Engagement für die Kinder und Jugendlichen
– nur daran, ob dies wirklich ´Lernorte des Glaubens´ sind? Wurden die
Erwartungen der letzten Jahrzehnte erfüllt, als wir auf noch mehr
Erzieher/innen zurückgreifen konnten, die eine Glaubenspraxis kannten und
lebten?
Was sich unter dem Begriff ´Caritas´ herausgebildet hat,
ließ der Kirche lange Zeit höchsten Respekt zukommen. Das soziale Engagement
war eine gute Begründung für eine Kirchenmitgliedschaft. Die letzten Umfragen
haben gezeigt, dass die Menschen Caritas und Kirche kaum mehr zusammen sehen.
Wofür steht Kirche dann noch bei diesen Menschen? Manche Begründung
amtlicherseits zur Kirchenmitgliedschaft offenbart eine sehr praktische und
finanzielle Sicht auf Kirche.
Die strapazierte Tugend der Hoffnung erlebe ich auch in der
Gemeinde. Sind die Sakramente der Taufe, Firmung und Trauung auf den einmaligen
Empfang angelegt, so entfalten sich die der Eucharistie und Beichte gerade in
ihrer Wiederholung. Es gibt keine Sakramente der Erstkommunion und der
Erstbeichte. Entwickelten sich die Modelle der begleitenden Katechese in einer
Zeit, in der sie als Ergänzung zum Besuch der Sonntagsmesse verstanden wurden,
so stehen sie heute an ihrer Stelle. Begründet wird das Festhalten an diesem
Modell mit der Hoffnung, dass die Saat eines Tages aufgehen werde. Die erste Generation,
von der man das erhoffte, kommt ins Rentenalter und tritt vermehrt aus der
Kirche aus, wie die letzten Austrittszahlen zeigten.
Die Glaubenspraxis der Menschen hat sich geändert, aber das
Kirche sich an dieser Stelle nicht verändern darf, da sind sich Fernstehende
und Verantwortliche einig wie selten. Die Einen wollen nicht die Tradition und
die Anderen nicht die Hoffnung aufgeben.
Wir haben den Satz ´Die Menschen da abzuholen wo sie stehen´
gelernt umzusetzen. Jetzt müssten wir noch den Umstand akzeptieren, dass immer
mehr Menschen gar nicht dahin wollen, wo wir sie hinführen möchten, nämlich zur
Mitfeier dieser Sakramente.
Sehe ich zu sehr das Negative? Vielleicht, aber auf dem
Sektor habe ich die einzigen Wachstumszahlen in dreißig Dienstjahren zu
verzeichnen. Sollte ich mehr die Menschen sehen, die es Ernst meinen?
Vielleicht, aber diese werden immer weniger und dürfen sie als Entschuldigung
herhalten, alles zu belassen wie es ist? Wir bedienen zu viel Tradition und
wecken zu wenig Sehnsucht. Ich bin keine Verfechter des ´heiligen Restes´, wohl
aber eines mutigen Abschiednehmens vom Gewohnten, auch wenn es Ärger gibt.
Ermöglichen wir allen alles, aber sagen wir auch, was das kostet, und zwar
nicht nur an Kirchensteuern, sondern auch im Leben, am Werktag wie am Sonntag.
Uns kann das Mitglieder kosten, aber das tut die jetzige Praxis auch.
Vielleicht gewinnen wir aber auch Menschen und an Glaubwürdigkeit. Das Risiko
ist es mir wert.
Ich feiere mit Freude die Messe, am Sonntag wie am Werktag.
Ich freue mich über jede/n, der dies ebenfalls tut und sei es unregelmäßig. In
unserer Gemeinde kommen ca. 90% jedoch nicht einmal im Jahr am Sonntag, 70%
nicht einmal an Weihnachten.
Dennoch wächst der Spagat zwischen den immer seltener im
Leben der Menschen stattfindenden Gottesdienste (Hochzeit, Taufe,
Erstkommunion, Firmung, Beerdigung, Jubiläum, Weihnachten) und der inneren
Gestimmtheit dafür, dem Grundgerüst, das man zum Mitfeiern vielleicht braucht.
Der Anspruch, dass diese seltene Feier dann servicorientiert, fehlerlos, auf
hohem Niveau ´geliefert´ werden soll und die Ahnungslosigkeit nicht Weniger ist
für mich immer schwerer auszuhalten.
Gottesdienste mit Suchenden, Fragenden, sogar den bekennend
Ahnungslosen zu feiern, sind eine wahre Freude. Ebenso wie die Hochform am
Hochfest eine Hochstimmung vermitteln kann. Es ist die Diskrepanz im Inneren
mancher Feier die mich schmerzt – und davon werden es mehr!
Foren, Synoden, Umfragen, Erhebungen, Untersuchungen,
Dialoge, Beratungen, Pläne – all das sind notwendige Aktionen angesichts der
aktuellen Probleme. Viele Gespräche und Überlegungen bringen Erkenntnisgewinn.
Dennoch fällt die Bilanz ernüchternd aus, hat sich doch am Bedeutungsverlust
vom in der Kirche gelebten Glauben nichts geändert – und ich glaube, dass sich
daran zu meinen Lebzeiten auch nichts ändern wird. Der hochgeschätzte Spiritual
Johannes Bours hat bei seinem letzten Besinnungstag im Priesterseminar 1984
prophezeit: „Wenn sie auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft sind, wird kaum
mehr jemand da sein.“
Wir sind Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, auf die
wir nur einen marginalen Einfluss haben. Und das wir durch Kindergärten als
Lernorte des Glaubens oder kirchliche Schulen noch spürbaren Einfluss nehmen,
daran habe ich den Glauben verloren. Trotz des Versprechens der Eltern
hinsichtlich der Erziehung im Glauben, können die meisten Kinder bei der
Kommunionvorbereitung weder Kreuzzeichen noch Vater Unser. Doch alle gehen
jahrgangsweise zur Kommunion, mit der die meisten Familien weder vorher noch
nachher etwas anfangen. Dies sind Realitäten, mit denen ich mich kaum mehr
abfinden kann. Und ich habe mich 25 Jahre als Pfarrer wahrlich bemüht.
Bin ich Priester geworden mit der Erwartung, dass Glaube und
Kirche wieder relevanter werden? Mit 27 hatte ich zumindest Hoffnung! Aber
unter veränderten Koordinaten habe auch ich mich verändert. Ich habe den
Glauben daran verloren, dass sich der Weg, auf dem ich als Gemeindepfarrer mit
Freude und Engagement gegangen bin, ein zukunftsweisender ist. Bestenfalls
vermag er eine leichte Bremse auf dem Weg des Bedeutungsverlustes zu sein.
Seit der Gemeinschaft der Apostel hat es nie eine ideale
Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu gegeben. Es ist jedoch ein Unterschied, ob
diese Gemeinschaft sich ausbreitet, Gemeinden gründet, Kirchen baut und
Gesellschaft beeinflusst oder ob man Zeit seines Lebens einen
Konsolidierungsprozess erfährt, in dem gleichzeitig die Servicementalität
wächst. Ich erlebe einen ununterbrochenen Rückzug. Alle Korrekturen sind schon
mit einem Verfallsdatum oder Fragezeichen versehen und mir fällt es zunehmend
schwer, mich in diesem Kontext zu engagieren. Es gibt Umstände, und besonders
wenn diese ein Dauerzustand sind, die mir die Freude an der Sache erschweren.
Was ich nicht verloren habe ist der Glaube daran, das es ein christliches
Programm für unserer Gesellschaft gibt, für das es sich zu leben lohnt.
Was ist das Resümee?
Alles bisher Gesagte klingt nach Veränderung und
Entschiedenheit. Dies ist aber etwas, das man nicht von Anderen erwarten sollte
- vielleicht nicht einmal von einer so alten und noch immer in Zahlen großen
Kirche wie der Unsrigen. Erwarten darf man das letztlich nur von sich selber!
Ich war Pfarrer in drei Gemeinden. Die beiden vorherigen
wurden fusioniert und bei der jetzigen werde ich schwerlich in zehn Jahren
einen Nachfolger bekommen. Dennoch ist der Blick zurück keineswegs
enttäuschend. Angesichts der Entwicklung sehe ich auf diesem Wege aber keine
Zukunft. Hinter das Vergangene mache ich ein großes Ausrufezeichen, vor dem
Zukünftigen steht ein großes Fragezeichen. Mir ist die Perspektive abhanden
gekommen, angesichts der Entwicklung und der Aussichten. Ich erwarte keine
signifikanten Veränderungen einer Großwetterlage durch Pläne oder Foren. Die
Strukturveränderungen habe ich aus Überzeugung mitgetragen. Eine Erneuerung
habe ich davon nicht erwartet und würde ich auch von Veränderungen wie z.B. bei
der Zulassung zum Priesteramt nicht erwarten.
Es ist auch nicht so, als ob ich wüsste, wie der Weg in die
Zukunft für Kirche und Gemeinden auszusehen hat. Mein Leben als Priester habe
ich als erfüllend erfahren und möchte weiter Priester bleiben. Dennoch erlebe
ich es als Gemeindepfarrer vermehrt in einer Funktion des Bedienens von
Traditionen und als Verfügungsmasse einer Kirche, die auf allen Ebenen mehr an
ihrer Vergangenheit arbeitet als an ihrer Zukunft.
Demnach kann es nur heißen, dass ich bei mir etwas ändern
muss. Ich möchte der Kirche und der Welt weiter als Priester dienen, dies aber
an einem anderen Ort, im Wissen darum, was ich an Gutem aufgebe und dem Risiko,
mich auf Unbekanntes einzulassen.
1987 lautete mein Primizspruch „Ich will mit dir reisen, ich
kenne den Weg!“ (Tobit 5,6) so sagt es der Erzengel Rafael dem Tobias – ich
kenne den Weg nicht, der vor mir liegt. Ich werde gehen und suchen. Unserem
Bischof danke ich dafür, dass er mir eine Auszeit ermöglicht, in der ich
zunächst für eine Zeit in ein Kloster gehen werde.
Mit aller Klarheit und Deutlichkeit sage ich am Ende dieser
Stellungnahme, dass ich niemandem einen Vorwurf mache. Nicht den Gemeinden in
denen ich tätig war, nicht den Seelsorgerinnen und Seelsorgern und nicht dem
Bischof und der Bistumsleitung, mit denen ich 30 Jahre zusammen gearbeitet
habe. Ich habe nicht die Lösung für die Umbruchsituation, in der wir uns
befinden. Eine Veränderung von jemand anderem, als von sich selber zu erwarten,
halte ich jedoch für eines der Probleme selber.
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