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Montag, 1. Februar 2016

In Memoriam Prof. Dr. Walter Hoeres. - Liturgie als Schulung.

Am 14. Januar 2016 ist Walter Hoeres gestorben. Der Philosoph war bekennender Verteidiger der katholischen Tradition und bis zuletzt ein eifriger Streiter für die katholische Sache. Kaum jemand verstand es so wie er, die Wahrheit, die er als Denker erkannte und als scharfer Beobachter sah, mit spitzer Feder zu formulierten. Als eines von hunderten von möglichen Beispielen sei hier ein Abschnitt eines seiner vielen Bücher wiedergegeben, das er 1984 mit dem Titel „Der Aufstand gegen die Ewigkeit“ und unter der Überschrift „Liturgie als Schulung“ veröffentlichte. - 

Auch der Kampf gegen den Triumphalismus entstammt letzten Endes jener Ruhelosigkeit, die für die Verwechslung von sinnvollem mit produktiv nützlichem Dasein verantwortlich ist und nichts mehr akzeptiert, was keinen greifbaren Effekt erbringt. Daher will die permanente Umfunktionierung der Liturgie zunächst einmal immer mehr Raum schaffen für die intensivere Belehrung und Information der Gläubigen. Weniger zurückhaltend definiert der Frankfurter Soziologe Alfred Lorenzer diese neue Zwecksetzung in seinem bekannten Buch über «das Konzil der Buchhalter». Hier sucht er den Nachweis zu führen, dass die Reform des Gottesdienstes genau das Gegenteil jener angeblichen Demokratisierung des kirchlichen Lebens und der Emanzipation der Gläubigen bewirkt habe, die die passionierten und unermüdlichen Liturgiereformer als ihre Ziele vorgaben. Liturgie werde in der Tat nunmehr nicht mehr in erster Linie als feierliche Darbringung des Opfers, sondern als permanente Glaubensschulung verstanden. An die Stelle der sakramentalen Verehrung des Numinosen sei die katechetische Belehrung getreten: jene werde zwar nicht aufgegeben, aber zugunsten der «Indoktrinierung», «Pädagogisierung» und «Intellektualisierung» der Gläubigen in massivster Weise beschnitten.

Dass Lorenzer in der Sache recht hat, zeigt heute jeder Besuch einer Sonntagsmesse. In striktem Gegensatz zum klassischen Hochamt wird nunmehr pausenlos auf die Gläubigen eingeredet. Kein Zufall, dass seit der konziliaren Trendwende eine Unzahl von Mikrophonen den Altarraum, ja die ganze Kirche beherrschen und dass anstelle der feierlichen Gebärden, des Sichbekreuzigens und Verneigens, die alle empfindlich reduziert sind, ennervierendes Hantieren mit den widerspenstigen Mikrophondrähten und Schrauben getreten ist. Redseligkeit bestimmt schon den Beginn der Messe, an dem man in aller Regel zunächst einmal wortreich in das sogenannte Grundanliegen des betreffenden Sonntags eingeführt wird, wobei der bemühte, soziologisch getonte Brückenschlag von den religiösen Geheimnissen zu ganz aktuellen Tagesfragen wie etwa der Vollbeschäftigung auffällt. In zahlreichen Pfarreien werden sodann zwei Episteln verlesen, von denen die erste dem Alten und die zweite dem Neuen Testament entnommen ist: ist es doch bezeichnenderweise der Ehrgeiz der Liturgiepädagogen, in zwei oder drei «Lesejahren» möglichst die ganze Bibel den Kirchenbesuchern zur Kenntnis zu bringen. Anstelle der vertrauten Perikopen und Gleichnisse, die einst im Turnus des Kirchenjahres die Gläubigen ihr ganzes Leben lang begleiteten, wird so eine immense Fülle von Bibelmaterial geboten, wobei auch Bizarres - etwa aus dem Alten Testament - nicht ausgespart werden darf. Daher kann es bei dem einfachen Vortrag der beiden Episteln nicht sein Bewenden haben, sondern es muss zunächst eine Einführung in sie geboten werden. Und weil man schon einmal beim Kommentieren ist, wird auch der Verlesung des Evangeliums eine Einführung vorangestellt, wobei gerade die Gleichnisse Jesu ex definitione solches Kommentieren erübrigen.

Nimmt man die Predigt hinzu, dann hat das unglückselige Gemeindemitglied, dessen kritische Mündigkeit die Theologen heute so hymnisch preisen, eine achtfache Belehrung über sich ergehen lassen. Dann folgen allerdings noch die ebenso wortreichen Fürbitten, in denen Gott meist um recht handfeste irdische Dinge wie Wohlstand für alle, Einsicht für die Regierenden und die Gabe, doch recht nett zueinander zu sein, gebetet wird.

Wer sich nach diesem Sturzbach der Worte einen weiteren stillen Verlauf der dann folgenden eigentlichen Messfeier erhofft und ein wenig von jener Sammlung, die man wenigstens einmal in der Woche und dazu noch im Kirchenraum auch in unserer umtriebigen Zeit doch eigentlich erwarten sollte, sieht sich im allgemeinen grimmig enttäuscht. Wieder hallt die mächtige Mikrophonstimme des Geistlichen durch den Kirchenraum: nicht selten, um das Geschehen, das den Gläubigen ohnehin seit ihrer Kindheit vertraut ist, in gänzlich überflüssiger Weise zu kommentieren und ihm damit den letzten Rest jenes szenisch-symbolischen Darstellungscharakters zu nehmen, der dem Gottesdienst früherer Zeiten seine sublime Anziehungskraft verlieh. Die ständige katechetische, disziplinierende Ingriffnahme hat radikal Schluss gemacht mit der relativen Freiheit, die der Gläubige einst im Gottesdienst genoss, weil hier der Akzent eindeutig auf der objektiven Grösse und Schönheit des liturgischen Geschehens lag, so dass es gar nicht darauf ankam, alle Einzelheiten zu begreifen, sondern vielmehr darauf, staunend und verehrend gegenwärtig zu sein.

Liturgie als Gemeinschaftserlebnis

Weil es heute kaum mehr gewachsene Gemeinschaften oder echte Nachbarschaft gibt, sondern wir in den Fängen der Industriegesellschaft immer mehr zu beziehungslosen Monaden werden, fühlen sich die Konstrukteure der neuen Liturgie, die nach eigenem Bekunden erst ganz am Anfang ihres Werkes stehen, berufen, sie nicht nur als Glaubens-, sondern auch als Gemeinschaftsschulung einzurichten und uns wenigstens noch hier die Erfahrung sogenannter «echter» Gemeinschaft zu vermitteln.

Demgemäss werden möglichst viele Gemeindemitglieder im Gottesdienst zu kleinen Dienstleistungen und Handreichungen angehalten, um so öffentlich «Mitmenschlichkeit» zu demonstrieren, die auch der Vokabel nach immer mehr die frühere unaufdringliche «Nächstenliebe» abzulösen droht!

Wenn schon Gemeinschaft organisiert werden soll, dann müssen auch die entsprechenden Gefühle vorgeschrieben werden, zumal nicht mehr damit gerechnet werden kann, dass das klägliche reduzierte Schauspiel der heiligen Handlung wie von selbst die Herzen der Gläubigen ergreift. Dass am Ende einer solchen Gottesdienstveranstaltung gerade der von Stress und Lärm des Werktages geplagte Zeitgenosse ermattet ins Freie tritt, ist zu vermuten. Es wäre dies zumindest die naheliegende Erklärung für den so betrüblichen Rückgang der Zahl der Gottesdienstbesucher seit den zahllosen, vom Konzil keineswegs in Bausch und Bogen abgesegneten liturgischen Neuerungen und Experimenten.

Predigt zum Requiem bei Frischer Wind




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