Auch der Kampf gegen den Triumphalismus entstammt letzten
Endes jener Ruhelosigkeit, die für die Verwechslung von sinnvollem mit
produktiv nützlichem Dasein verantwortlich ist und nichts mehr akzeptiert, was
keinen greifbaren Effekt erbringt. Daher will die permanente Umfunktionierung
der Liturgie zunächst einmal immer mehr Raum schaffen für die intensivere
Belehrung und Information der Gläubigen. Weniger zurückhaltend definiert der
Frankfurter Soziologe Alfred Lorenzer diese neue Zwecksetzung in seinem bekannten
Buch über «das Konzil der Buchhalter». Hier sucht er den Nachweis zu führen,
dass die Reform des Gottesdienstes genau das Gegenteil jener angeblichen
Demokratisierung des kirchlichen Lebens und der Emanzipation der Gläubigen bewirkt
habe, die die passionierten und unermüdlichen Liturgiereformer als ihre Ziele
vorgaben. Liturgie werde in der Tat nunmehr nicht mehr in erster Linie als
feierliche Darbringung des Opfers, sondern als permanente Glaubensschulung
verstanden. An die Stelle der sakramentalen Verehrung des Numinosen sei die
katechetische Belehrung getreten: jene werde zwar nicht aufgegeben, aber
zugunsten der «Indoktrinierung», «Pädagogisierung» und «Intellektualisierung»
der Gläubigen in massivster Weise beschnitten.
Dass Lorenzer in der Sache recht hat, zeigt heute jeder
Besuch einer Sonntagsmesse. In striktem Gegensatz zum klassischen Hochamt wird
nunmehr pausenlos auf die Gläubigen eingeredet. Kein Zufall, dass seit der
konziliaren Trendwende eine Unzahl von Mikrophonen den Altarraum, ja die ganze Kirche beherrschen und dass anstelle
der feierlichen Gebärden, des Sichbekreuzigens und Verneigens, die alle
empfindlich reduziert sind, ennervierendes Hantieren mit den widerspenstigen
Mikrophondrähten und Schrauben getreten ist. Redseligkeit bestimmt schon den
Beginn der Messe, an dem man in aller Regel zunächst einmal wortreich in das
sogenannte Grundanliegen des betreffenden Sonntags eingeführt wird, wobei der
bemühte, soziologisch getonte Brückenschlag von den religiösen Geheimnissen zu
ganz aktuellen Tagesfragen wie etwa der Vollbeschäftigung auffällt. In
zahlreichen Pfarreien werden sodann zwei Episteln verlesen, von denen die erste
dem Alten und die zweite dem Neuen Testament entnommen ist: ist es doch bezeichnenderweise
der Ehrgeiz der Liturgiepädagogen, in zwei oder drei «Lesejahren» möglichst die
ganze Bibel den Kirchenbesuchern zur Kenntnis zu bringen. Anstelle der
vertrauten Perikopen und Gleichnisse, die einst im Turnus des Kirchenjahres die
Gläubigen ihr ganzes Leben lang begleiteten, wird so eine immense Fülle von
Bibelmaterial geboten, wobei auch Bizarres - etwa aus dem Alten Testament -
nicht ausgespart werden darf. Daher kann es bei dem einfachen Vortrag der
beiden Episteln nicht sein Bewenden haben, sondern es muss zunächst eine
Einführung in sie geboten werden. Und weil man schon einmal beim Kommentieren
ist, wird auch der Verlesung des Evangeliums eine Einführung vorangestellt,
wobei gerade die Gleichnisse Jesu ex definitione solches Kommentieren
erübrigen.
Nimmt man die Predigt hinzu, dann hat das unglückselige
Gemeindemitglied, dessen kritische Mündigkeit die Theologen heute so hymnisch
preisen, eine achtfache Belehrung über sich ergehen lassen. Dann folgen allerdings
noch die ebenso wortreichen Fürbitten, in denen Gott meist um recht handfeste
irdische Dinge wie Wohlstand für alle, Einsicht für die Regierenden und die
Gabe, doch recht nett zueinander zu sein, gebetet wird.
Wer sich nach diesem Sturzbach der Worte einen weiteren
stillen Verlauf der dann folgenden eigentlichen Messfeier erhofft und ein wenig
von jener Sammlung, die man wenigstens einmal in der Woche und dazu noch im
Kirchenraum auch in unserer umtriebigen Zeit doch eigentlich erwarten sollte,
sieht sich im allgemeinen grimmig enttäuscht. Wieder hallt die mächtige Mikrophonstimme
des Geistlichen durch den Kirchenraum: nicht selten, um das Geschehen, das den
Gläubigen ohnehin seit ihrer Kindheit vertraut ist, in gänzlich überflüssiger
Weise zu kommentieren und ihm damit den letzten Rest jenes
szenisch-symbolischen Darstellungscharakters zu nehmen, der dem Gottesdienst
früherer Zeiten seine sublime Anziehungskraft verlieh. Die ständige katechetische,
disziplinierende Ingriffnahme hat radikal Schluss gemacht mit der relativen Freiheit,
die der Gläubige einst im Gottesdienst genoss, weil hier der Akzent eindeutig
auf der objektiven Grösse und Schönheit des liturgischen Geschehens lag, so
dass es gar nicht darauf ankam, alle Einzelheiten zu begreifen, sondern
vielmehr darauf, staunend und verehrend gegenwärtig zu sein.
Liturgie als Gemeinschaftserlebnis
Weil es heute kaum mehr gewachsene Gemeinschaften oder echte
Nachbarschaft gibt, sondern wir in den Fängen der Industriegesellschaft immer
mehr zu beziehungslosen Monaden werden, fühlen sich die Konstrukteure der neuen
Liturgie, die nach eigenem Bekunden erst ganz am Anfang ihres Werkes stehen,
berufen, sie nicht nur als Glaubens-, sondern auch als Gemeinschaftsschulung
einzurichten und uns wenigstens noch hier die Erfahrung sogenannter «echter»
Gemeinschaft zu vermitteln.
Demgemäss werden möglichst viele Gemeindemitglieder im
Gottesdienst zu kleinen Dienstleistungen und Handreichungen angehalten, um so
öffentlich «Mitmenschlichkeit» zu demonstrieren, die auch der Vokabel nach immer
mehr die frühere unaufdringliche «Nächstenliebe» abzulösen droht!
Wenn schon Gemeinschaft organisiert werden soll, dann müssen
auch die entsprechenden Gefühle vorgeschrieben werden, zumal nicht mehr damit
gerechnet werden kann, dass das klägliche reduzierte Schauspiel der heiligen
Handlung wie von selbst die Herzen der Gläubigen ergreift. Dass am Ende einer
solchen Gottesdienstveranstaltung gerade der von Stress und Lärm des Werktages
geplagte Zeitgenosse ermattet ins Freie tritt, ist zu vermuten. Es wäre dies
zumindest die naheliegende Erklärung für den so betrüblichen Rückgang der Zahl
der Gottesdienstbesucher seit den zahllosen, vom Konzil keineswegs in Bausch
und Bogen abgesegneten liturgischen Neuerungen und Experimenten.
Predigt zum Requiem bei Frischer Wind
Predigt zum Requiem bei Frischer Wind
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