Mit zunehmendem Alter
verband Scholl-Latour seine Analysen mit bitterer Kritik: an der manipulativen
Heuchelei der Militärs, der naiven Ideologie der politischen Eliten und der
Ignoranten Selbstgerechtigkeit wissenschaftlicher Experten. Doch ging es ihm dabei
keinesfalls darum, sich zu profilieren. Vielmehr sprach aus seinen
Kassandrarufen die Leidenschaft eines echten Abendländers, der den Niedergang
seiner Kultur erlebte [...]. Die heutige Spaßgesellschaft so äußerte er, könne
die heraufziehenden Konflikte mit anderen, weitaus vitaleren Kulturen nicht
bestehen.
„Machen wir uns keine
Illusionen: Europa wendet sich vom Christentum ab, wird agnostisch, aggressiv
aufklärerisch, atheistisch. Die Frömmigkeit wird weiter nachlassen und die
Verhöhnung der Religion weiter zunehmen." Als ein signifikantes Beispiel dieser
Verhöhnung nannte er die Entweihung der von Stalin zerstörten und unter Putin
wieder aufgebauten Erlöserkathedrale in Moskau durch die Punkband Pussy Riot.
Die von westlichen Medien und Politikern als mutiges Aufbegehren gefeierte
Aktion war für ihn eine Schändung des Andenkens all jener Gläubigen und
Geistlichen, die durch den Kommunismus ihr Leben verloren hatten.
Einen wesentlichen Grund
für die Entchristianisierung Europas sah der gläubige Katholik Scholl-Latour in
der Verweltlichung der Kirchen. Viele evangelische und katholische Kleriker, so
klagte er, seien dazu übergegangen, „die Jenseitsbestimmung ihres Glaubens und
die Dogmen ihrer Kirchen dem Zeitgeist zu opfern". Sie neigten dazu, „das
Christentum auf eine humanitäre Philosophie oder auf eine Soziallehre zu
reduzieren" anstatt bei ihren ursprünglichen Lehren zu bleiben.
Schwer wog für
Scholl-Latour, der seine Gebete bis zum Schluss auf Latein sprach, auch die
Zerstörung der Liturgie. Mit der nachkonziliaren Gottesdienstfeier wusste er
wenig anzufangen. Hingegen sah er in der Schönheit und der Feierlichkeit der
Alten Messe ein wesentliches Instrument, den Menschen aus der Niedrigkeit des
Alltags zu erheben und die Begegnung mit Gott zu einem Fest werden zu lassen.
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