Vater Claude Bouvier de la
Motte-Vergonville im Gegensatz zur Mutter liebevoll um seine Tochter besorgt
war und sie bei den Ursulinen besser aufgehoben sah als daheim.
Krankheiten und andere
Umstände veranlassten einen mehrfachen Wechsel ihres Aufenthaltes. So finden
wir sie mit vier Jahren bei Benediktinerinnen, mit sieben wieder bei Ursulinen,
mit zehn bei Dominikanerinnen, dann wieder bei Ursulinen, wo sie am 13. April
1659 die erste heilige Kommunion empfängt.
Von den vielfachen, oft
schmerzlichen Erlebnissen - mit zum Teil starken religiösen Erschütterungen -
sei bei diesem häufigen Wechsel des Aufenthaltsortes und der Bezugspersonen nur
eines erwähnt: Aus Angst vor Ansteckung durch die Windpocken, die Jeanne-Marie
bekommen hatte, ließen die Dominikanerinnen sie drei Wochen in einem Isolierzimmer,
wo sie zu ihrer „Unterhaltung" nichts findet als eine Bibel. Die
Zehnjährige liest Tag und Nacht darin, und das Gelesene prägt sich ihr tief
ein.- Später werden die mystischen
Kommentare zur Heiligen Schrift den Hauptteil ihres Werkes ausmachen, wie denn
auch die zahlreichen Schriftzitate, zum Beispiel im „Kurzen und sehr leichten
Weg", ihre tiefe Vertrautheit mit der Bibel bezeugen. Dabei zitiert sie
weithin aus dem Gedächtnis, wodurch der Bibeltext nicht immer wörtlich
wiedergegeben wird.
1661 vertieft sich unter
dem Einfluß eines Vetters, der sich als Priester gerade in die Mission nach
Fernost begibt, ihr geistliches Leben beträchtlich. Die Dreizehnjährige liest
die „Philothea" des hl. Franz von Sales und eine Biographie der hl.
Johanna Franziska von Chantal, die von nun an - bewußt oder unbewußt - ihr
großes Vorbild bleiben wird. Jeanne-Maries Wunsch aber, in den von der hl.
Johanna Franziska und dem hl. Franz von Sales gegründeten Orden der
Heimsuchung, der auch in Montargis ein Kloster hat, einzutreten, setzen die
Eltern andere, vor allem Heirats-Pläne entgegen.
Ein mehrmonatiger
Aufenthalt in Paris bringt sie mit der „großen Welt" in Kontakt. Sie
stammt ja aus angesehener Adelsfamilie. Sie gerät an Romane, die sie
verschlingt. Sie nimmt ihre eigene Schönheit wahr und den Eindruck, den sie auf
andere macht, nicht ohne an der
eigenen Eitelkeit bzw. an
Schuldgefühlen zu leiden.
Noch nicht sechzehn Jahre
alt, wird sie nach Sitte jener Zeit, ohne eigentlich gefragt zu werden, einem zweiundzwanzig
Jahre älteren, sehr reichen und dabei wohltätigen adligen Herrn verlobt, der
jedoch bald zu kränkeln beginnt und darüber hinaus sehr jähzornig ist. Erst zwei
Tage vor der Hochzeit sieht sie ihn zum ersten Mal (Februar 1664). Die Ehe wird
zum Martyrium.
Statt der erhofften
Freiheit von der Mutter erwartet sie eine grobe Schwiegermutter. Eine
Bedienstete schikaniert die sechzehnjährige Ehefrau auf jede Art und Weise. Am 21.
Mai 1665 gebiert sie ihr erstes Kind, 1668 ihr zweites. Im Juli 1667 war ihre
Mutter gestorben. Im gleichen Jahr gewinnt sie in der Herzogin von Bethune eine
Freundin, die ihr in allen Wechselfällen ihres Lebens treu bleiben wird und die
mit ihren eigenen mystischen Neigungen jene anfangs beschriebene Wende des
Jahres 1668 vorbereiten half.
1669 gebiert sie ihr
drittes Kind, eine Tochter. 1670 erkranken alle drei Kinder an den Pocken und
sie selbst schließlich auch. Der älteste Sohn stirbt. Jeanne-Marie Guyon wird
wieder gesund, aber ihr Antlitz bleibt für immer von den Pockennarben
entstellt.
(vgl. E. Jungclausen,
Suche Gott in dir; 1986)
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