Seiten dieses Blogs

Dienstag, 5. Mai 2015

Wer war Jeanne-Marie Guyon (1/8)

Infolge eines Schocks ihrer Mutter kam sie als Siebenmonatskind am 13. April 1648 in Montargis (südlich von Paris) zur Welt. Kaum lebensfähig und lange Zeit kränklich, sollte sie das ungeliebte Kind ihrer Mutter bleiben, dem der später geborene Bruder Jacques beständig vorgezogen wurde. Dass man sie schon mit zweieinhalb Jahren Klosterfrauen, d. h. zunächst Ursulinen, anvertraute, erscheint von daher verständlich, auch deshalb, weil ihr
Vater Claude Bouvier de la Motte-Vergonville im Gegensatz zur Mutter liebevoll um seine Tochter besorgt war und sie bei den Ursulinen besser aufgehoben sah als daheim.

Krankheiten und andere Umstände veranlassten einen mehrfachen Wechsel ihres Aufenthaltes. So finden wir sie mit vier Jahren bei Benediktinerinnen, mit sieben wieder bei Ursulinen, mit zehn bei Dominikanerinnen, dann wieder bei Ursulinen, wo sie am 13. April 1659 die erste heilige Kommunion empfängt.

Von den vielfachen, oft schmerzlichen Erlebnissen - mit zum Teil starken religiösen Erschütterungen - sei bei diesem häufigen Wechsel des Aufenthaltsortes und der Bezugspersonen nur eines erwähnt: Aus Angst vor Ansteckung durch die Windpocken, die Jeanne-Marie bekommen hatte, ließen die Dominikanerinnen sie drei Wochen in einem Isolierzimmer, wo sie zu ihrer „Unterhaltung" nichts findet als eine Bibel. Die Zehnjährige liest Tag und Nacht darin, und das Gelesene prägt sich ihr tief ein.- Später werden die mystischen Kommentare zur Heiligen Schrift den Hauptteil ihres Werkes ausmachen, wie denn auch die zahlreichen Schriftzitate, zum Beispiel im „Kurzen und sehr leichten Weg", ihre tiefe Vertrautheit mit der Bibel bezeugen. Dabei zitiert sie weithin aus dem Gedächtnis, wodurch der Bibeltext nicht immer wörtlich wiedergegeben wird.

1661 vertieft sich unter dem Einfluß eines Vetters, der sich als Priester gerade in die Mission nach Fernost begibt, ihr geistliches Leben beträchtlich. Die Dreizehnjährige liest die „Philothea" des hl. Franz von Sales und eine Biographie der hl. Johanna Franziska von Chantal, die von nun an - bewußt oder unbewußt - ihr großes Vorbild bleiben wird. Jeanne-Maries Wunsch aber, in den von der hl. Johanna Franziska und dem hl. Franz von Sales gegründeten Orden der Heimsuchung, der auch in Montargis ein Kloster hat, einzutreten, setzen die Eltern andere, vor allem Heirats-Pläne entgegen.

Ein mehrmonatiger Aufenthalt in Paris bringt sie mit der „großen Welt" in Kontakt. Sie stammt ja aus angesehener Adelsfamilie. Sie gerät an Romane, die sie verschlingt. Sie nimmt ihre eigene Schönheit wahr und den Eindruck, den sie auf andere macht, nicht ohne an der
eigenen Eitelkeit bzw. an Schuldgefühlen zu leiden.

Noch nicht sechzehn Jahre alt, wird sie nach Sitte jener Zeit, ohne eigentlich gefragt zu werden, einem zweiundzwanzig Jahre älteren, sehr reichen und dabei wohltätigen adligen Herrn verlobt, der jedoch bald zu kränkeln beginnt und darüber hinaus sehr jähzornig ist. Erst zwei Tage vor der Hochzeit sieht sie ihn zum ersten Mal (Februar 1664). Die Ehe wird zum Martyrium.

Statt der erhofften Freiheit von der Mutter erwartet sie eine grobe Schwiegermutter. Eine Bedienstete schikaniert die sechzehnjährige Ehefrau auf jede Art und Weise. Am 21. Mai 1665 gebiert sie ihr erstes Kind, 1668 ihr zweites. Im Juli 1667 war ihre Mutter gestorben. Im gleichen Jahr gewinnt sie in der Herzogin von Bethune eine Freundin, die ihr in allen Wechselfällen ihres Lebens treu bleiben wird und die mit ihren eigenen mystischen Neigungen jene anfangs beschriebene Wende des Jahres 1668 vorbereiten half.

1669 gebiert sie ihr drittes Kind, eine Tochter. 1670 erkranken alle drei Kinder an den Pocken und sie selbst schließlich auch. Der älteste Sohn stirbt. Jeanne-Marie Guyon wird wieder gesund, aber ihr Antlitz bleibt für immer von den Pockennarben entstellt.

(vgl. E. Jungclausen, Suche Gott in dir; 1986)




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen