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Freitag, 15. Mai 2015

Abtötung als Loslassen und Sich-nach-innen-Wenden

Wir wissen aus dem Leben der Madame Guyon, daß ihr der „Stand" der Kindheit Jesu besonders teuer war. Aus dieser Teilhabe aus den „Ständen" Jesu erwächst ganz von innen und nicht bloß als äußere Willensübung das Tugendstreben. Die Tugenden werden hier verstanden als die immer wieder in den jeweiligen Augenblick hinein konkret verwirklichten christlichen Grundhaltungen, wie Paulus sie zum Beispiel in Röm 12,9-21, Gal 5,23 und Kol 3,12-15 beschreibt. Da Paulus in diesem Zusammenhang die christlichen Grundhaltungen unchristlichen Verhaltensweisen gegenüberstellt, von denen es sich immer neu zu lösen gilt, wird es verständlich, dass Jeanne-Marie Guyon im Zusammenhang mit den Tugenden auch auf die Abtötungen als Ablösungsprozeß zu sprechen kommt. Sie tut das in einer - auch psychologisch - klugen Weise:

Freilich übte sie selbst jahrelang eine sehr harte Askese und stellt auch in anderen Schriften konkretere Anforderungen an ihre geistlichen Kinder:

„Die rechte Art, den Leib zu züchtigen, die immer und überall beobachtet werden kann, ist folgende:
Aus Liebe Gottes alle Unbequemlichkeiten des Lebens, die uns die Vorsehung zukommen läßt, wie Kälte, Hitze, Schlaflosigkeit, schlechtes Bett, schwache Gesundheit, Unachtsamkeit der Menschen, mit denen man leben muß, Ungeschicklichkeit der Dienstboten, böser Wille der Menschen, ihre stechenden Spöttereien, Verleumdungen, endlich unsere eigenen Fehler und die Mühe, welche wir uns geben, um unsere unordentlichen Leidenschaften zu überwinden, zu leiden und zu dulden.

Die vorteilhafteste Demütigung aber (und auch die schwerste zu ertragen) ist diejenige, die aus unserem eigenen Elend, Fehlern und Sünden entspringt. Wir müssen uns selbst erdulden und ansehen, als besorgten wir aus Liebe zu Gott irgendeinen Aussätzigen, dem wir täglich seine Wunden auswaschen sollen, ohne darüber verdrießlich zu werden, noch Grausen wegen der sehr übelriechenden Geschwüre zu bekommen.

Dein Gebet also, [...], werde immer durch wahre und ernsthafte Abtötung begleitet. Schmeicheln wir uns ja nicht, denn das Gebet und die Abtötung miteinander so wesentlich verbundene Schwestern sind, daß die eine ohne die andere nicht leben kann. Oft entstehen Trockenheiten im Gebet nur aus Mangel der Abtötung."

Jeanne-Marie Guyon

(vgl. E. Jungclausen, Suche Gott in dir; 1986)


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