„Wo ist dein Bruder?"
Und Kain antwortet mit der Gegenfrage
eines Liberalen:
„Bin ich denn der Hüter
meines Bruders?"
Das Buch Genesis entlarvt die
Gegenfrage Kains als rhetorischen Ausdruck der Gesinnung des Mörders. Der
Mensch als Person trägt Verantwortung für seinen Bruder. Er soll wissen, wo der
Bruder ist. Einen schönen Beleg für die Selbsttranszendenz des Menschen sah ich
einmal auf einem Lastwagenaufkleber: „Denk an deine Frau, fahr vorsichtig!"
Hier ist nicht die Rede von der Sorge, ein zu mir gehörendes Wesen zu
verlieren, eine Sorge, die auch Tiere haben, sondern hier denkt sich jemand als
dem anderen zugehörig, als Teil der Welt des anderen, der dem anderen zuliebe
mit sich selbst behutsam umgeht.
Was nun die eheliche Gemeinschaft betrifft, so ist die katholische Kirche
die einzige Institution der Welt, die das vor Gott gegebene Versprechen ernst
nimmt, den Bund als mit diesem Versprechen entstandene Entität als ein neues
Rechtssubjekt ernst nimmt, und seine Entstehung durch die Anwesenheit freier
Zeugen und den Segen des Priesters dokumentiert.
Es ist ein Versprechen, das in die Sterne geschrieben
ist, wo niemand, kein Papst, kein Standesamt und auch nicht die Ehepartner
selbst es wieder herunterholen können.
Natürlich ist eine
lebenslange enge Gemeinschaft Belastungen ausgesetzt. Das tiefe Glück, das sich mit diesem Bund verbindet, erfährt nur der,
der von Anfang an auch willens ist, das Kreuz, an das er sich nageln lässt, von
Herzen anzunehmen. Dazu gehört eine Einstellung zum Leben, die die
Bereitschaft zum Opfer einschließt. Diese kann nicht in einer Stunde
grundgelegt werden. Und das besonders heute, im Zeitalter des selfish System.
Die katholische Kirche lehrt, dass das verlässliche Halten des Eheversprechens ohne besonderen Beistand nicht möglich
sei. Aber dieses besonderen Beistands können wir gewiss sein, weil die Ehe ein
Sakrament ist, also ein Ort der Vergegenwärtigung des Mysteriums von Kreuz und
Auferstehung. Was aber durch das Sakrament wiederhergestellt wird, ist, wie
Christus sagt, die „Ordnung des Anfangs", das heißt die natürliche Ordnung
der Dinge. Ein Versprechen halten ist nun einmal „von Natur" richtiger als
es brechen. Dass die Jünger zunächst entsetzt sind über die Verkündigung von
der Unauflöslichkeit der Ehe, zeigt nur, dass die gesellschaftliche Normalität
sich bereits damals von dem „von Natur" Richtigen weit entfernt hatte.
Die Wiederherstellung des
„Anfangs" ist für die erbsündige Natur mit Mühe verbunden.
„Geh hin und sündige nicht
mehr"
sagt Christus zur
Ehebrecherin,
nachdem er ihr verziehen und
sie vor der Steinigung gerettet hat.
Die katholische Kirche hätte allen Grund, in der Nachfolge Jesu mit Stolz
dem Zeitgeist die Stirn zu bieten, statt nach Schlupfwegen Ausschau zu halten,
die die Botschaft verwässern. „Ihr seid
das Salz der Erde", sagt der Herr. Wenn das Salz schal wird, salzt es
nicht mehr. „Es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten."
Sind wir heute da angelangt?
Ist die Kirche im Begriff zu kapitulieren?
Wo es doch ihre Aufgabe ist,
die Schönheit der Botschaft des Evangeliums zum Strahlen zu bringen.
Erschüttert müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Ehescheidungen bei Katholiken fast so häufig
sind wie bei Nichtkatholiken. Und in den Annullierungsverfahren spielen
mangelnder Konsens oder mangelnder Zeugungswille eine Rolle, die sie nicht spielen
dürften, wenn die kirchliche Ehevorbereitung in Ordnung gewesen wäre. Dann wäre
nämlich dieser Defekt schon vor der Heirat manifest geworden, und eine
kirchliche Trauung hätte nicht stattfinden dürfen. Der Kursleiter hätte die
Brautleute fragen müssen, ob sie wirklich willens seien, einen unwiderruflichen
Bund einzugehen und bis zum Tod eines der beiden alle Brücken hinter sich
abzubrechen. Wenn stattdessen die Brautpaare - wie ich bezeugen kann – darauf hingewiesen
werden, dass ja beim eventuellen Scheitern der ersten Ehe die Möglichkeit des
Gelingens einer zweiten bestehe, dann wird ja schon ein später geltend zu
machendes Ehehindernis aufgebaut.
Es sei denn, das Brautpaar weist das ihm in Aussicht
gestellte Gift entschieden zurück.
(Robert Spaemann, „…der isst und trinkt sich das Gericht“,
Vatican-Magazin 10/2015)
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