Am 20. Dezember 1676 kam in Porto Maurizio an der ligurischen Küste in
Norditalien ein kleiner Junge auf die Welt, der auf den Namen Paolo-Girolamo getauft und somit dem
Schutz des hl. Paulus und des hl. Hieronymus anvertraut wurde. Wie er später
selbst berichtete, hatte er sehr gute Eltern. Seine Jugend war vorbildlich: Er
konnte seine Freunde mühelos für das Beten und für karitative Werke begeistern.
Zu seinen Lieblingsautoren zählte der hl. Franz von Sales, dessen Anleitung zum
frommen Leben er stets bei sich trug. Moralischen und geistlichen Beistand fand
er in den von Jesuiten und Oratorianern betreuten Jugendkonventen, die seine
Begeisterung für ein tugendhaftes Leben sowie seine Bußfertigkeit anfachten.
Paolo-Girolamo fühlte sich
zum Ordensstand berufen. Sein Beichtvater riet ihm, seine Gebete und
Bußübungen zu intensivieren, so werde er mit Hilfe der Gnade den Willen Gottes
erkennen. Als Paolo-Girolamo eines Tages zwei arm gekleideten, bescheiden
auftretenden Ordensbrüdern aus dem Reformzweig des Franziskanerordens
begegnete, verspürte er sogleich den Wunsch, sich ihnen anzuschließen. Er
betrat die Klosterkirche in dem Augenblick, in dem die Brüder gerade die
Komplet anstimmten: „Herr, unser Gott,
bekehre uns!“ Die Worte gingen ihm so zu Herzen, dass er beschloss, um
Aufnahme in den Konvent zu bitten. Er wurde Novize und empfing am 2. Oktober 1697 die Ordenstracht sowie
den Namen „Bruder Leonhard“. Ein Jahr später legte er seine Gelübde ab. Der
junge Ordensmann diente allen zur Erbauung, vor allem, weil er selbst die
unbedeutendsten Regeln getreu befolgte. Er pflegte zu sagen: „Wenn wir, solange wir jung sind, die
kleinen Dingen geringachten und bewusst gegen sie verstoßen, dann werden wir
uns, wenn wir älter sind und über mehr Freiheit verfügen, auch Verstöße gegen
die wichtigsten Punkte erlauben.“
Nach seiner Priesterweihe
wurde Leonhard zum Philosophielehrer
ernannt. Bald darauf erkrankte er schwer und wurde von seinen Vorgesetzten zur
Luftveränderung nach Porto Maurizio in seine Heimat zurückgeschickt. Als sich
keine Besserung zeigte, betete der Pater zur Jungfrau Maria, sie möge von ihrem
göttlichen Sohn eine robuste Gesundheit für ihn erbitten; er werde sie dazu
nutzen, Seelen für den Himmel zu gewinnen. Seine Bitte wurde erhört; die
Krankheit verschwand.
1708 hielt Pater Leonhard in
der Nähe von Porto Maurizio seine erste „Volksmission“.
Darunter versteht man eine Predigtreihe,
die über mehrere Tage bzw. Wochen hinweg von einem auswärtigen Geistlichen in
einer Pfarrgemeinde gehalten wird. Solche Missionen waren damals überaus
beliebt und fruchtbar. Traditionell wurde dabei die Notwendigkeit thematisiert, sich zum Herrn zu bekehren, um ein
wahrhaft christliches Leben zu führen und seine Seele zu retten.
Heutzutage spricht man nicht mehr so gern vom
Seelenheil. Unser kulturelles Umfeld
und die herrschenden Ideologien machen die Menschen zunehmend an der irdischen
Wirklichkeit fest: Viele leben nur für diese Welt und denken nicht daran, was
nach dem Tode kommt. Für andere gibt es sehr wohl „eine Ewigkeit“ nach dem
Tode, doch das Heil spielt dabei keine Rolle: Man geht davon aus, dass alle
ohne Unterschied ins Paradies kommen. In beiden Fällen ist das Ergebnis gleich:
Um sein Seelenheil braucht man sich nicht zu sorgen.
Doch „Gott hat uns ins Dasein
gerufen, damit wir ihn erkennen, ihm
dienen, ihn lieben und so ins Paradies gelangen... Die verheißene Seligkeit
stellt uns vor wichtige sittliche Entscheidungen. Sie lädt uns ein, unser Herz
von bösen Trieben zu läutern und danach zu streben, Gott über alles zu lieben.
Sie lehrt uns: Das wahre Glück liegt ... in keinem Geschöpf, sondern einzig in
Gott, dem Quell alles Guten und aller Liebe... Der Dekalog, die Bergpredigt und
die Lehre der Apostel weisen uns den Weg, der zum Reich des Himmels führt“
(Katechismus der Katholischen Kirche, 1721-1724).
Unser Herr Jesus ist zu den
Menschen gekommen, um ihnen die unendliche Liebe des Vaters zu offenbaren, der
will, dass alle gerettet werden und an seinem göttlichen Leben im Himmel
teilhaben; doch Jesus betont zugleich, dass die Menschen an ihren Werken gemessen werden und dass denjenigen, die nicht in Frieden mit Gott
sterben, kein ewiges Leben zuteil wird. „Jesus spricht öfters von der
Gehenna des unauslöschlichen Feuers [Vgl. Mt 5,22. 29; 13, 42. 50; Mk 9,43-48],
die für jene bestimmt ist, die bis zum Ende ihres Lebens sich weigern, zu
glauben und sich zu bekehren, und wohin zugleich Seele und Leib ins Verderben geraten können [Vgl. Mt 10,28]. Jesus
kündigt in ernsten Worten an, dass er seine Engel aussenden wird, die alle
zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und ...
in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt“ (Mt 13,41-42), und dass er das
Verdammungsurteil sprechen wird: Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige
Feuer! (Mt 25,41). Die Lehre der Kirche sagt, dass es eine Hölle gibt und dass
sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen
sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die Qualen der Hölle erleiden,
das ewige Feuer. Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung
von Gott, in dem allein der Mensch das Leben und das Glück finden kann, für die
er erschaffen worden ist und nach denen er sich sehnt“ (Katechismus 1034-1035).
Die Betrachtung der letzten Dinge stand im Mittelpunkt
von Pater Leonhards Lehre.
Er schrieb: „Bedenkt, wie
wichtig es für euch ist, euer letztes Ziel zu erreichen. Es geht dabei um
alles: Erreicht ihr es, so seid ihr gerettet, ewig glückselig und im Besitz
aller Wohltaten für Leib und Seele. Verfehlt ihr es aber, so seid ihr verloren
mit Leib und Seele, ihr verliert Gott und das Paradies, ihr seid auf ewig
unglücklich, für immer verdammt. Solltet ihr einen Teil eures Vermögens
verlieren, bleibt euch immer noch etwas; solltet ihr einen Prozess verlieren,
könnt ihr Berufung einlegen; solltet ihr einen zeitlichen Irrtum begehen, er
lässt sich korrigieren. Und selbst wenn ihr alles verliert, was soll's? Ob ihr
es wollt oder nicht, einmal wird ohnehin der Tag kommen, an dem ihr alles
zurücklassen müsst.
Wenn ihr aber euer letztes
Ziel verfehlt, dann verliert ihr alles Gute und zieht euch für alle Ewigkeit
irreparables Leid zu. Denn was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze
Welt gewinnt, an seinem Leben aber Schaden leidet? (Mt 16,26). Unser ewiges
Heil! Das ist unsere große, unsere einzige Aufgabe. Wenn es um weltliche Dinge
geht und ihr vergesst etwas, mag vielleicht ein anderer für euch daran denken;
wenn ihr aber die große Aufgabe eures ewigen Heils vergesst, wer wird für euch
daran denken? Wenn ihr euch nicht
sorgfältig darum bemüht, wer wird sich für euch bemühen? Wenn ihr euch
nicht selbst zu eurer Rettung verhelft, wer soll euch retten? Gott, der euch
ohne euer Zutun erschaffen hat, will euch nicht ohne euer Zutun retten. Wenn
ihr euch aber retten wollt, so müsst ihr daran denken“ (Betrachtung über die
Bestimmung des Menschen).
Bevor man ein Werk beginnt,
müssen die Hindernisse beseitigt werden,
die seiner Verwirklichung im Wege stehen. Dem
ewigen Heil steht die Todsünde im Wege: der bewusste Verstoß gegen Gottes Gesetz in einem schwerwiegenden Punkt.
„Die Todsünde ist wie auch die Liebe eine radikale Möglichkeit, die der Mensch
in Freiheit wählen kann. Sie zieht den Verlust der göttlichen Tugend der Liebe
und der heiligmachenden Gnade, das heißt des Standes der Gnade, nach sich. Wenn
sie nicht durch Reue und göttliche Vergebung wieder gutgemacht wird, verursacht
sie den Ausschluss aus dem Reiche Christi und den ewigen Tod in der Hölle, da
es in der Macht unseres Willens steht, endgültige und unwiderrufliche
Entscheidungen zu treffen“ (Katechismus 1861).
Pater Leonhard formulierte
das so:
„Ah! Wie recht hatte doch der
heilige Augustinus, als er gegen die seltsame Verblendung, das Gute für böse
und das Böse für gut zu erklären, mit einem Wort Jesajas (5,20) protestierte: Wehe jenen, die das Böse als gut, das Gute
als böse bezeichnen! Er wusste gar nicht, wie er jene Verblendung nennen
sollte, die darin besteht, dass in der Welt kein Übel weniger geächtet wird als
die Sünde, obwohl sie doch das abscheulichste Übel der ganzen Welt ist ...
Genau das ist der Grund für so viele Sündenfälle und dafür, dass so viele
Menschen Fehltritte begehen und sich in einen Abgrund von Unrecht stürzen: Man denkt nicht nach, nein, man überlegt
nicht, was man anrichtet, wenn man eine Todsünde begeht“. (Predigt über
Tücke der Todsünde).
Manche glauben, eine Todsünde werde nur in
Ausnahmefällen oder aus willentlicher Missachtung Gottes begangen.
Doch Johannes-Paul II. warnt
in seiner Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993): „Die einmal empfangene
Gnade der Rechtfertigung kann nicht nur durch die Untreue, die den Menschen um
seinen Glauben bringt, sondern auch durch jede andere Todsünde verloren gehen
... Jene Sünde ist eine Todsünde, die eine schwerwiegende Materie zum
Gegenstand hat und die dazu mit vollem Bewusstsein und bedachter Zustimmung
begangen wird.... Es handelt sich nämlich auch um eine Todsünde, wenn sich der
Mensch bewusst und frei aus irgendeinem Grunde für etwas entscheidet, was in
schwerwiegender Weise sittlich ungeordnet ist. Tatsächlich ist ja in einer
solchen Entscheidung bereits eine Missachtung des göttlichen Gebotes enthalten“
(Nr. 68; 70).
Der Katechismus (1858)
erklärt hierzu: „Was eine schwerwiegende Materie ist, wird durch die zehn
Gebote erläutert, entsprechend der Antwort Jesu an den reichen Jüngling: Du sollst
nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du
sollst nicht falsch aussagen ... ehre deinen Vater und deine Mutter (Mk 10,19).“
Zu den häufigsten
schwerwiegenden Sünden zählen die Sünden gegen das sechste und das neunte Gebot:
„Sünden, die entsprechend der jeweiligen Natur des
Gegenstandes schwer gegen die Keuschheit verstoßen, sind: Ehebruch, Selbstbefriedigung,
Unzucht, Pornographie, Prostitution, Vergewaltigung, homosexuelle Handlungen.
Diese Sünden sind Ausdruck des Lasters der Unkeuschheit“ (Kompendium des Katechismus, 492), das, ohne selbst
zum Schwerwiegendsten zu zählen, eine völlige
Verblendung des Geistes bewirkt.
So mahnte Pater Leonhard zu
Recht:
„Sünder, woran denkst du? Bist du härter als Stein?
Hast du jemals die besondere Gnade bedacht, die Gott dir erweist, indem er dir
Zeit zur Buße gibt? Was tust du, um dich in Sicherheit zu bringen? Wären ein
paar Kasteiungen schon zu viel?... Wäre die Vorbereitung einer guten
Generalbeichte zu viel, um dem gewohnten lasterhaften Leben ein Ende zu
setzen?“ (Einladung zur Buße).
Doch Pater Leonhard begnügte
sich nicht damit, das Übel zu geißeln,
er nannte auch das Gegenrezept:
Man soll sich vom Herrn gewinnen lassen, der seine
Barmherzigkeit allen anbietet.
„Bedenkt, dass die Gerechtigkeit Gottes für die
verstockten Sünder ebenso unendlich ist wie seine Barmherzigkeit für die
reuigen Sünder. Gott hasst die Sünde
unendlich; aber ebenso unendlich liebt Er seine Geschöpfe: Sobald man seine
Sünde bereut, findet man die Liebe Gottes wieder; würden sich alle Sünder
zerknirschten und demütigen Herzens Gott zuwenden, wären alle gerettet. Seine
unendliche Güte will, dass alle Menschen ins Paradies gelangen ... Keine Mutter
kann ihrem ins Feuer gefallen Kind so schnell zu Hilfe eilen, wie Gott sich
beeilt, den reuigen Sünder in die Arme zu schließen. Je größer eure Sünden
sind, umso größer ist auch der Triumph der Güte, der Liebe und der Nachsicht
unseres unendlich barmherzigen Gottes“ (Betrachtung über die Barmherzigkeit
Gottes).
Jesus fordert die Sünder „zur
Bekehrung auf, ohne die man nicht in das Reich eintreten kann. Er zeigt ihnen
aber in Wort und Tat das grenzenlose Erbarmen des Vaters [Vgl. Lk 15, 11-32]
und die gewaltige Freude, die im Himmel ... herrschen [wird] über einen
einzigen Sünder, der umkehrt (Lk 15,7). Der größte Beweis seiner Liebe ist die
Hingabe seines Lebens zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28)“ (Katechismus 545).
Pater Leonhard war ein Meister der Seelenführung und hatte oft die Erfahrung gemacht, dass bestimmte religiöse Übungen einem helfen konnten,
sich zu bekehren bzw. im wiedergefundenen Stand der Gnade zu verbleiben.
Dazu zählt erstens die Übung der drei Ave Maria. Sie geht auf
die heilige Mechtildis († 1258), eine deutsche Benediktinerin, zurück, die
Unsere Liebe Frau einmal bat, ein Gebet zu nennen, das ihr gefalle. Da erschien
ihr die Gottesmutter mit dem Ave Maria in goldenen Lettern auf der Brust und
sprach: „Nichts wird höher gelangen als dieser Gruß, und man kann mich nicht
liebevoller grüßen als mit dem respektvollen Sprechen dieser Worte.“ Ein
andermal fragte die Heilige die himmlische Königin, wie man die Gnade der
letzten Standhaftigkeit und eines guten Todes sicher erlangen könne. Wieder
erschien ihr die Gottesmutter und sprach: „Wenn du diese große Gnade erlangen
willst, musst du jeden Tag drei Ave Maria zu Ehren meiner Privilegien sprechen,
und ich werde sie dir gewähren.“ Der heilige Leonhard warb nachdrücklich für
diese Andacht: „Jeden Morgen beim
Aufwachen und jeden Abend vor dem Schlafengehen soll der Verehrer Mariens drei
Ave Maria zu Ehren ihrer unbefleckten Reinheit beten, ihr seine Sinne und alle
Gaben seiner Seele darbringen, damit sie sie als einen ihr geweihten Besitz
behüte, und sie um die Gnade bitten, an diesem Tag (bzw. in dieser Nacht) nicht
der Sünde zu verfallen.“
Daneben empfahl der Heilige das Stoßgebet „Mein Jesus, Erbarmen!“ und zitierte dazu die
Worte eines Missionars: „Wenn ich an einen Ort zurückkehre, den ich bereits
missioniert habe, passiert mir oft, dass Leute zu mir kommen und ihre Beichte
folgendermaßen beginnen: ‚Mein Vater, ich bin jener Unmensch, der vor Jahren zu
Ihnen gekommen ist, um sich zu erleichtern, und einen Sack voller Missetaten
vor Ihre Füße gekippt hat; ich weiß nicht, ob sie mich wiedererkennen, aber mit
Gottes Hilfe habe ich seit damals nichts Unanständiges und keine Todsünde
begangen.' – ‚Wie haben Sie das gemacht?' – ‚Ach, Vater, ich habe den Rat, den
Sie uns so eingeschärft hatten, befolgt und mich oft durch das fromme Stoßgebet
Gott empfohlen. Ich habe das jeden Tag gemacht, morgens und abends, und vor
allem bei Versuchungen bat ich häufig um den Beistand Gottes mit den Worten:
Mein Jesus, Erbarmen! Was soll ich sagen, Vater? Ich fühlte in meiner Seele
neue Kräfte wachsen, und bin nie mehr gestrauchelt.'“ Pater Leonhard fuhr fort:
„Meine lieben Brüder, hätte ich eine donnernde Stimme oder vielmehr eine jener
Posaunen, die am Tag des Jüngsten Gerichts erschallen werden, so würde ich
mich, von heiligem Eifer erfüllt, auf den Gipfel der höchsten Berge stellen und
von dort aus Leibeskräften rufen: ‚Ihr
fehlgeleiteten Völker! Erwachet endlich; wollt ihr euch das ewige Leben
sichern, so empfehlt euch Gott und sprecht zu Ihm: ‚Mein Jesus, Erbarmen!' Und
ich gebe euch mein Wort darauf, wie Jesus Christus vor mir sein Wort darauf
gegeben hat in seinem Evangelium: Bittet, und es wird euch gegeben werden (Mt
7,7), bittet um seinen Beistand, und ihr werdet ihn haben, und mit seinem
Beistand werdet ihr nicht mehr sündigen. Ich wiederhole, ich gebe euch mein
Wort darauf: Wenn ihr euch oft Gott empfehlt, indem ihr aus tiefstem Herzen
sagt: ‚Mein Jesus, Erbarmen!', so werdet ihr nicht mehr sündigen, und ihr
werdet gerettet!“
Die Übung des Kreuzweges - das Nachvollziehen des Leidensweges Jesu - existierte
bereits damals; sie war jedoch außerhalb des Franziskanerordens kaum bekannt
und erfuhr erst durch Pater Leonhard allgemeine Verbreitung. Er nannte den Kreuzweg liebevoll „die
Mutter aller religiösen Übungen, da sie ja die älteste ist, die heiligste, frommste,
göttlichste, erhabenste und verdienstvollste, die deswegen zu Recht den Vorrang
vor allen anderen hat.“ Seine Passionsverehrung stützte sich auf eine lange,
bereits vom heiligen Bonaventura gepflegte franziskanische Tradition und ließ
ihn 572 Kreuzwege errichten.
Der Himmel segnete die Arbeit
des Paters, und die Zahl seiner Volksmissionen in Italien und auf Korsika wuchs
stetig. 1715 wurde Pater Leonhard zum Guardian des Klosters San Francesco al
Monte in Florenz ernannt, wo er für eine strenge
Einhaltung der Regel sorgte. Doch die Einsamkeit eines normalen Klosters
genügte ihm nicht; er suchte, wie der hl. Franziskus vor ihm, nach einem
abgelegenen Ort, an dem er von Zeit zu Zeit mit Gott allein sein konnte. So
gründete er auf einem Berg eine Einsiedelei namens Santa Maria dell'Incontro.
Man lebte dort in strengster Armut und widmete sich der Handarbeit. Bald baten
Franziskaner und sogar Laien von auswärts darum, an geistlichen Exerzitien in
der Einsiedelei teilnehmen zu dürfen. Pater Leonhard liebte diesen Ort so sehr,
dass nur sein brennender apostolischer Eifer ihn von dort loszureißen
vermochte.
Nach dem Heiligen Jahr 1750
brach Pater Leonhard zu einer neuen
Missionsrundreise auf, wurde jedoch bald vom Papst nach Rom zurückgerufen; er
machte sich gehorsam auf den Weg. Das Reisen kurz vor Winterbeginn fiel ihm
schwer. Er fühlte sich bereits beim Aufbruch aus Tolentino unwohl und hatte
noch die Berge vor sich. In Foligno angekommen, wollte er die Messe feiern; als
ein Bruder ihn bat, wegen seiner Ermüdung darauf zu verzichten, antwortete er: „Bruder, eine Messe wiegt mehr als alle
Schätze der Welt“.
In einem Büchlein Pater
Leonhards steht:
„Die heilige Messe ist nicht weniger als die Sonne des
Christentums, die Seele des Glaubens, das Herz der Religion Jesu Christi; alle
Riten, alle Zeremonien, alle Sakramente beziehen sich auf sie. Sie vereint mit
einem Wort alles Schöne und Gute in der Kirche Gottes in sich... Ohne die
heilige Messe befände sich die Welt bereits gewiss in einem Abgrund,
hinabgerissen von der schrecklichen Last so vieler Missetaten. Die Messe ist
der siegreiche Hebel, der sie hochhält. Da seht ihr also, wie unverzichtbar das
heilige Messopfer für uns ist“ (Die
heilige Messe, der unerkannte Schatz).
Pater Leonhard kam mit dem Te
Deum auf den Lippen im November 1751 im Kloster des hl. Bonaventura an und
musste mühsam aus der Kutsche gehoben werden: Er war so schwach, dass sein Puls
kaum zu fühlen war. Im Krankenzimmer beichtete er und empfing die letzten
Sakramente, nachdem er mit erstaunlicher Energie das Glaubensbekenntnis
gesprochen hatte. Er nahm etwas von einem angebotenen Getränk zu sich und sagte
dann: „Ich kann Gott gar nicht genug für die Gnade danken, dass ich im Kreise
meiner Mitbrüder sterben darf.“ Am 26.
November 1751 entschlief er gleich nach dem Empfang der Letzten Ölung
friedlich im Herrn.
Er wurde vom seligen Pius IX. heiliggesprochen und
später von Pius XI. zum himmlischen Patron der Volksmissionare ernannt.
Heiliger Leonhard, bitte für
uns um die Gnade eines eifrigen Einsatzes für das Heil der Seelen!
Rundbriefe von Abt Antoine Marie OSB
Abtei St.-Joseph de Clairval, Frankreich
Die Abduckerlaubnis, für die ich sehr dankbar bin, wurde
erteilt.
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