Liebe Brüder und Schwestern!
Heute möchte ich über einen wichtigen
Heiligen sprechen, einen geistlichen Freund der hl. Theresia, der gemeinsam mit
ihr die karmelitische Ordensfamilie reformiert hat: den hl. Johannes vom Kreuz,
der 1926 von Papst Pius XI. zum Kirchenlehrer erhoben wurde und traditionell
den Beinamen „Doctor mysticus“ – „Lehrer der Mystik“ – trägt.
Johannes vom Kreuz wurde 1542
in dem kleinen Dorf Fontiveros bei Ávila in Altkastilien geboren, als Sohn von
Gonzalo de Yepes und Catalina Alvarez. Die Familie war sehr arm, weil der
Vater, der toledanischem Adel entstammte, von zu Hause verjagt und enterbt
wurde, da er Catalina geheiratet hatte, eine einfache Seidenweberin. Bereits in
zartem Alter verlor er seinen Vater und zog mit neun Jahren mit seiner Mutter
und seinem Bruder Francisco nach Medina del Campo bei Valladolid, ein Handels-
und Kulturzentrum. Hier besuchte er das „Colegio de los Doctrinos“ und
erledigte auch einige einfache Arbeiten für die Ordensschwestern des Konvents
bei der Kirche „Santa María Magdalena“. Dann wurde er dank seiner menschlichen
Eigenschaften und schulischen Erfolge zunächst als Krankenpfleger im Hospital „Inmaculada
Concepción“ und dann in das Jesuitenkolleg aufgenommen, das in Medina del Campo
gerade gegründet worden war: Hier trat Johannes mit 18 Jahren ein und studierte
drei Jahre lang Humanwissenschaften, Rhetorik und klassische Sprachen. Am Ende
der Ausbildung hatte er seine Berufung ganz deutlich vor Augen: das
Ordensleben, und unter den vielen Orden, die in Medina anwesend waren, fühlte
er sich in den Karmel berufen.
Im Sommer 1563 begann er das
Noviziat bei den Karmeliten der Stadt und nahm den Ordensnamen Johannes vom hl. Matthias an. Im folgenden Jahr wurde
er an die berühmte Universität von Salamanca geschickt, wo er drei Jahre lang
die Freien Künste und Philosophie studierte. 1567 wurde er zum Priester geweiht
und kehrte nach Medina del Campo zurück, um umgeben von der Liebe seiner
Angehörigen seine erste heilige Messe zu feiern. Hier kam es zur ersten
Begegnung zwischen Johannes und Theresia von Jesus. Die Begegnung war für beide
entscheidend: Theresia erläuterte ihm ihren Plan zur Reform des Karmels auch für
den männlichen Zweig des Ordens und schlug Johannes vor, sich ihm „zur größeren Ehre Gottes“ anzuschließen.
Der junge Priester war von Theresias Ideen so fasziniert, daß er zu einem
großen Befürworter des Plans wurde. Die beiden arbeiteten einige Monate lang
zusammen und teilten einander Ideale und Vorschläge mit, um so schnell wie
möglich das erste Haus der Unbeschuhten Karmeliten zu eröffnen: Die Eröffnung
fand am 28. Dezember 1568 in Duruelo statt, einem einsamen Ort in der Provinz
Ávila.
Zusammen mit Johannes
bildeten drei weitere Gefährten diese erste reformierte männliche Gemeinschaft.
Bei der Erneuerung ihrer Ordensprofeß nach der ursprünglichen Regel nahmen die
vier einen neuen Namen an: Johannes hieß jetzt „vom Kreuz“, wie man ihn
später weltweit kennen wird. Ende 1572 wurde er auf Bitte der hl. Theresia
Beichtvater und Kaplan des Klosters der Menschwerdung in Ávila, wo die Heilige
Priorin war. Es waren Jahre enger Zusammenarbeit und geistlicher Freundschaft,
die beide bereicherte. Auf diese Zeit gehen auch die wichtigsten
Theresianischen Werke und die ersten Schriften des Johannes zurück.
Die Mitwirkung an der Reform des Karmelordens war
nicht leicht und brachte für Johannes auch schwere Leiden mit sich. Das
traumatischste Ereignis, im Jahre 1577, war seine Entführung und seine
Kerkerhaft im Konvent der Karmeliten der Alten Observanz in Toledo infolge
einer falschen Anklage. Der Heilige blieb monatelang eingekerkert und war
physischen und seelischen Entbehrungen und Nötigungen ausgesetzt. Hier verfaßte
er zusammen mit anderen Gedichten den berühmten Geistlichen Gesang. In der
Nacht vom 16. auf den 17. August 1578 gelang ihm schließlich eine
abenteuerliche Flucht; er fand Zuflucht im Kloster der Unbeschuhten
Karmelitinnen der Stadt.
Die hl. Theresia und die
reformierten Gefährten feierten seine Befreiung mit großer Freude. Nach einer
kurzen Zeit der Erholung wurde Johannes, um wieder zu Kräften zu kommen, nach
Andalusien gesandt, wo er zehn Jahre in verschiedenen Klöstern verbrachte, vor
allem in Granada. Er übernahm immer wichtigere Aufgaben im Orden, bis hin zum
Provinzvikar, und vollendete seine geistlichen Abhandlungen. Dann kehrte er in
seine Heimatregion zurück als Mitglied der Generalleitung der Theresianischen
Ordensfamilie, die nunmehr völlige rechtliche Autonomie genoß.
Er wohnte im Karmel von
Segovia, wo er das Amt des Oberen der Gemeinschaft innehatte. 1591 wurde er
aller Verantwortungen enthoben und sollte in die neue Ordensprovinz Mexiko
entsandt werden. Während er sich mit zehn weiteren Gefährten auf die lange
Reise vorbereitete, zog er sich in ein einsames Kloster in Jaén zurück, wo er
schwer krank wurde. Johannes nahm große Leiden mit vorbildlicher Ruhe und
Geduld auf sich.
Er starb in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember
1591, während seine Mitbrüder die Matutin beteten. Er verabschiedete sich von
ihnen mit den Worten: „Heute gehe ich im Himmel das Offizium beten.“
Seine sterblichen Überreste
wurden nach Segovia überführt.
Er wurde 1675 von Clemens X. selig-, und 1726 von Benedikt XIII. heiliggesprochen.
Er wurde 1675 von Clemens X. selig-, und 1726 von Benedikt XIII. heiliggesprochen.
Johannes gilt als einer der
bedeutendsten lyrischen Dichter der spanischen Literatur. Seine vier Hauptwerke
sind:
Aufstieg auf den Berg Karmel,
Die dunkle Nacht,
Der geistliche Gesang und
Die lebendige Flamme der Liebe.
Im Geistlichen Gesang legt der hl. Johannes den Weg der Reinigung der Seele
dar, also den allmählichen freudigen Besitz Gottes, bis die Seele schließlich
spürt, daß sie Gott mit derselben Liebe liebt, mit der sie von ihm geliebt
wird. Die lebendige Flamme der Liebe fährt in dieser Perspektive fort und
beschreibt detaillierter den Zustand der umwandelnden Vereinigung mit Gott. Als
Vergleich gebraucht Johannes stets das Feuer: Je mehr das Feuer brennt und das
Holz verzehrt, desto mehr glüht es auf und wird schließlich zur Flamme. Ebenso
erleuchtet und erwärmt der Heilige Geist, der in der dunklen Nacht die Seele
reinigt und »läutert«, diese mit der Zeit, als wäre sie eine Flamme. Das Leben
der Seele ist ein ständiges Fest des Heiligen Geistes, das die Herrlichkeit der
Vereinigung mit Gott in der Ewigkeit erkennen läßt.
Der Aufstieg auf den Berg Karmel zeigt den geistlichen Weg unter dem Aspekt der
allmählichen Reinigung der Seele, die notwendig ist, um zum höchsten Punkt der
christlichen Vollkommenheit zu gelangen, symbolisiert durch den Gipfel des
Berges Karmel. Diese Reinigung ist als ein Weg dargestellt, den der Mensch
unternimmt, indem er mit dem göttlichen Wirken zusammenarbeitet, um die Seele
von jeder Anhänglichkeit oder Zuneigung, die dem Willen Gottes entgegensteht, zu
befreien. Die Reinigung, die vollkommen sein muß, um zur liebenden Vereinigung
mit Gott zu gelangen, beginnt bei der des sinnlichen Lebens und wird
fortgesetzt durch die, die man durch die drei göttlichen Tugenden erlangt –
Glaube, Hoffnung und Liebe –, die das Streben, das Gedächtnis und den Willen
reinigen.
Die dunkle Nacht beschreibt den »passiven« Aspekt, also das Wirken Gottes in diesem
Prozeß der „Reinigung“ der Seele. Die menschliche Anstrengung allein ist
nämlich unfähig, bis zu den tiefsten Wurzeln der Neigungen und der schlechten
Gewohnheiten der Person zu gelangen: Sie kann sie nur zügeln, aber nicht völlig
ausrotten. Um das zu tun bedarf es des besonderen Wirkens Gottes, der den Geist
bis auf den Grund reinigt und ihn für die liebende Vereinigung mit ihm
bereitmacht. Der hl. Johannes bezeichnet diese Reinigung als »passiv«, denn
obgleich die Seele sie annimmt, wird sie umgesetzt durch das geheimnisvolle
Wirken des Heiligen Geistes, der wie eine Feuerflamme jede Unreinheit vertilgt.
In diesem Zustand wird die Seele allen möglichen Prüfungen unterzogen, als
befände sie sich in einer dunklen Nacht.
Diese Angaben zu den
Hauptwerken des Heiligen helfen uns, uns den wesentlichen Punkten seiner
umfassenden und tiefen mystischen Lehre zu nähern, deren Ziel es ist, einen
sicheren Weg darzulegen, um zur Heiligkeit zu gelangen, dem Zustand der
Vollkommenheit, zu dem Gott uns alle beruft. Johannes vom Kreuz zufolge ist
alles, was existiert, was von Gott geschaffen ist, gut. Durch die Geschöpfe
können wir den entdecken, der in ihnen eine Spur seiner selbst hinterlassen
hat. Der Glaube ist jedoch die einzige Quelle, die dem Menschen geschenkt ist,
um Gott so kennenzulernen, wie er in sich selbst ist, als den einen und
dreifaltigen Gott. Alles, was Gott dem Menschen mitteilen wollte, hat er in
Jesus Christus gesagt, seinem fleischgewordenen Wort. Jesus Christus ist der
einzige und endgültige Weg zum Vater (vgl. Joh 14,6). Alles Erschaffene ist
nichts im Vergleich zu Gott, und nichts hat Wert außer ihm: Folglich muß jede
andere Liebe, um zur vollkommenen Liebe Gottes zu gelangen, sich in Christus
der göttlichen Liebe angleichen.
Daher besteht der hl. Johannes immer wieder auf der Notwendigkeit der
Reinigung und der inneren Entäußerung, um mit Gott, dem einzigen Ziel der
Vollkommenheit, gleichgestaltet zu werden.
Diese „Reinigung“ besteht
nicht einfach nur in der physischen Abwesenheit der Dinge und ihres Gebrauchs;
was die Seele rein und frei macht, ist vielmehr die Beseitigung jeder ungeordneten Abhängigkeit von den Dingen. Alles
muß in Gott als Mittelpunkt und Ziel des Lebens hineingestellt werden.
Der lange und mühsame Prozeß der Reinigung erfordert
natürlich die persönliche Anstrengung, aber der wahre Hauptakteur ist Gott:
Alles, was der Mensch tun
kann, ist, sich „bereit“ zu machen, für das göttliche Wirken offen zu sein und
ihm keine Hindernisse entgegenzustellen. Indem er die göttlichen Tugenden lebt,
erhebt sich der Mensch und verleiht seinen eigenen Bemühungen Wert. Der
Rhythmus, in dem der Glaube, die Hoffnung und die Liebe wachsen, geht im
Gleichschritt einher mit der Reinigung und der allmählichen Vereinigung mit
Gott bis hin zur Gleichgestaltung mit ihm.
Wenn man zu diesem Ziel
gelangt, dann wird die Seele in das dreifaltige Leben hineingenommen: So sagt
der hl. Johannes, daß sie dahin gelangt, Gott mit derselben Liebe zu lieben,
mit der auch Er sie liebt, denn er liebt sie im Heiligen Geist. Daher hält der
Kirchenlehrer der Mystik daran fest, daß es keine wahre liebende Vereinigung
mit Gott gibt, die nicht in der dreifaltigen Vereinigung ihren Höhepunkt
findet. In diesem erhabenen Zustand erkennt die heilige Seele alles in Gott und
muß nicht mehr den Weg über die Geschöpfe gehen, um zu ihm zu gelangen. Die
Seele fühlt sich nunmehr von der göttlichen Liebe überflutet und erfreut sich
völlig in ihr.
Liebe Brüder und Schwestern,
am Ende bleibt die Frage: Hat dieser Heilige mit seiner hohen Mystik, mit
diesem mühsamen Weg zum Gipfel der Vollkommenheit auch uns etwas zu sagen, dem
gewöhnlichen Christen in den heutigen Lebensverhältnissen, oder ist er nur ein
Beispiel, ein Vorbild für wenige auserwählte Seelen, die diesen Weg der
Reinigung, des mystischen Aufstiegs wirklich unternehmen können? Um die Antwort
zu finden, müssen wir uns vor allem vor Augen halten, daß das Leben des hl.
Johannes vom Kreuz kein „Schweben auf mystischen Wolken“ war, sondern ein sehr
hartes, sehr praktisches und sehr konkretes Leben – als Reformator des Ordens,
wo er vielen Widerständen begegnete, als Provinzoberer und auch im Kerker
seiner Mitbrüder, wo er unglaublichen Schmähungen und physischen Mißhandlungen
ausgesetzt war. Es war ein hartes Leben, aber gerade in den Monaten, die er im
Kerker verbrachte, hat er eines seiner schönsten Werke geschrieben. Und so
können wir verstehen, daß der Weg mit Christus, das Unterwegssein mit Christus
– dem „Weg“ – keine Last ist, die der Mühsal unseres Leben, die schon hart
genug ist, noch zusätzlich aufgebürdet wird, daß es nichts ist, was diese
Mühsal noch schwerer macht, sondern etwas ganz anderes: ein Licht, eine Kraft,
die uns hilft, diese Mühsal zu tragen.
Wenn ein Mensch eine große
Liebe in sich trägt, dann verleiht diese Liebe ihm gleichsam Flügel, und er
erträgt alle Beschwernisse des Lebens leichter, weil er dieses große Licht in
sich trägt. Das ist der Glaube: von Gott geliebt zu sein und sich von Gott in
Jesus Christus lieben zu lassen. Dieses Sich-Lieben-Lassen ist das Licht, das
uns hilft, die tägliche Mühsal zu tragen. Und die Heiligkeit ist nicht unser
Werk, ein sehr schwieriges Werk, sondern sie ist genau diese „Öffnung“: die
Fenster unserer Seele zu öffnen, damit das Licht Gottes eintreten kann, Gott
nicht zu vergessen, denn gerade in der Öffnung gegenüber seinem Licht findet
man Kraft, findet man die Freude der Erlösten. Bitten wir den Herrn, daß er uns
helfen möge, diese Heiligkeit zu finden, sich von Gott lieben zu lassen, was
unser aller Berufung ist und die wahre Erlösung. Danke.
Papst Benedikt XVI.
Generalaudienz am Mittwoch,
16. Februar 2011
Siehe auch:
xxx
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen