O Mütter,
die ihr das erste und
einzige Kind habt sterben sehen,
ruft euch die Nacht zurück,
die letzte, bei dem kleinen,
wimmernden Wesen,
das Wasser, das man ihm zu
trinken geben will,
das Eis, das Thermometer,
und den Tod,
der leise, leise sich naht,
den man nicht mehr
verkennen kann.
Zieht ihm seine armen
Schühlein an,
gebt ihm ein frisches
Hemdlein und frische Windeln!
Einer kommt,
der es mir nehmen und in
die Erde
legen wird.
Leb wohl, mein süßes Kind!
Leb wohl, du Fleisch von
meinem Fleisch! -
Die vierte Station ist
Maria,
die ganz Hinnahme ist.
Da steht sie an der
Straßenecke und wartet auf
ihn, aller Armut Hort.
Ihre Augen haben keine
Tränen,
ihr Mund hat keinen
Speichel.
Sie spricht kein Wort und
schaut Jesus an,
wie er da kommt.
Sie nimmt hin.
Sie nimmt noch einmal hin.
Strenge
unterdrückt sie jeden
Schrei in ihrem starken,
graden Herzen. Sie spricht
kein Wort
und schaut Jesus
Christus an.
Die Mutter betrachtet ihren
Sohn,
die Kirche ihren Erlöser.
Heftig geht ihre Seele ihm
entgegen, gleich
Dem Schrei des sterbenden
Soldaten.
Aufrecht steht sie vor Gott
und hält ihm ihre Seele hin.
Nichts ist in ihrem Herzen,
das sich verweigert oder zurücknimmt,
keine Fiber ihres
durchbohrten Herzens, die nicht hinnimmt
und nicht einwilligt.
Und wie Gott selbst zugegen
ist, so ist sie zugegen.
Sie nimmt hin
und schaut auf den Sohn,
den sie in ihrem Schoße empfangen hat.
Sie spricht kein Wort
und schaut den Heiligen der
Heiligen an.
(Paul Claudel (1868-1955), Der
Kreuzweg
Übertragen von Klara Marie
Faßbinder, 1938)
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