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Dienstag, 15. April 2014

Wagen, Jesus zu betrachten! - Kreuzweg, 10. Stat.

10. Station - Jesus wird seiner Kleider beraubt

Da ist nun die Tenne, wo der himmlische Weizen geschrotet wird.
Der Vater ist entblößt,
der Schleier des Tabernakels ist weggerissen.
Die Hand ist an Gott gelegt,
das Fleisch des Fleisches erzittert.
In seinem Grunde bedroht erbebt das Weltall bis in seine innersten Eingeweide.
Wir aber wollen,
da man ihm das Gewand und den Rock ohne Naht genommen hat,
unsere Augen erheben,
wollen es wagen,
Jesus, den ganz Reinen,
zu betrachten.

Nichts haben sie dir gelassen, Herr,
alles haben sie dir genommen,
sogar das Kleid, das am Fleische klebt,
so wie sie heutzutage
dem Mönch seine Kutte entreißen und
der gottgeweihten Jungfrau ihren Schleier.
Alles haben sie ihm genommen,
es bleibt ihm nichts mehr,
sich zu bergen,
nichts, um sich zu verteidigen.
Nackt wie ein Wurm
ist er allen Menschen ausgeliefert und zur Schau gestellt ...

Was, das ist euer Jesus?
Er reizt ja zum Lachen!
Er ist bedeckt von Schlägen und Unrat,
er gehört zu den Verrückten
und ins Polizeigewahrsam.

Er ist nicht der Christus.
Er ist nicht der Sohn des Menschen.
Er ist nicht Gott.
Sein Evangelium ist Lüge,
und sein Vater ist nicht im Himmel.
Er ist ein Narr!
Ein Betrüger!
Heißt ihn doch reden!
Heißt ihn doch schweigen!

Der Knecht des Annas gibt ihm einen Backenstreich, und Renan küßt ihn. ...
Sie haben alles genommen.
Aber es bleibt das scharlachfarbene Blut.
Sie haben alles genommen.
Aber es bleibt die aufbrechende Wunde.
Gott ist verborgen.
Aber es bleibt der Mann der Schmerzen.
Gott ist verborgen.
Es bleibt mein Bruder voller Tränen. –

Durch deine Verdemütigungen, Herr,
durch deine Schmach,
habe Mitleid mit den Besiegten,
mit dem Schwachen, den der Starke überwältigt.
Durch die Schauerlichkeit dieses letzten Kleides,
das man dir entrissen, habe Mitleid
mit allen, die man zerreißt:
mit dem dreimal operierten Kinde, dem der Arzt Mut zuspricht,
mit jenen Verwundeten, dessen Verband man erneuert,
mit dem gedemütigten Gatten,
mit dem Sohn neben seiner sterbenden Mutter
und mit dieser furchtbaren Liebe,
die wir uns aus dem Herzen reißen müssen.

(Paul Claudel (1868-1955), Der Kreuzweg
Übertragen von Klara Marie Faßbinder, 1938)


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