160 Jahre später ist das
einstige La Pierre-qui-Vire nicht wiederzuerkennen.
Jahrzehntelang war es die
führende Abtei Frankreichs. Trotz der strengeren Observanz konnte man sich der
Anwärter kaum erwehren. Das Bedürfnis nach größerer Einsamkeit, nach Natur und
Nachtgebet entsprach einem Zeitgefühl junger Menschen, denen das Leben in der
tanzenden lauten Welt nicht reichte.
Der amerikanische Trappist
Thomas Merton war ein Vorbild dieser Generation, die jenseits des Wohlstands
andere Ufer suchte:
„Dass wir uns keine Zeit
nehmen, liegt an dem Gefühl, ständig in Bewegung bleiben zu müssen. Das ist
eine echte Krankheit. Wir leben in der Fülle der Zeit. Jeder Moment ist Gottes
eigene gute Zeit, sein Kairos. Letztlich läuft die ganze Sache darauf hinaus,
uns im Gebet nicht der Entdeckung zu verweigern, dass wir längst haben, was wir
suchen. Wir brauchen nicht hinterherzuhetzen. Es war schon die ganze Zeit da,
und wenn wir ihm Zeit geben, wird es sich uns erschließen."
Der 1949 in Lyon geborene
Gastpater Guillaume ist ein typischer Repräsentant dieser Generation. Seine
Familie gehörte zu den besseren Kreisen. Alles gelang, die Welt lag ihm zu
Füßen. Als im Mai 1968 auf den Pariser Boulevards die Pflastersteine flogen,
stand er auf der anderen Seite der politischen Barrikaden und beteiligte sich
als 19-Jähriger an der Demo für General de Gaulle. Problemlos schaffte er sein
Ingenieur-Studium und fand gleich einen Job. Doch, so sagt er heute: „Es war
eine unbefriedigende Existenz, eine Sackgasse." Tiefer darin eindringen zu
wollen, macht keinen Sinn, man spürt, dass er uns die Details ersparen möchte.
Kurioserweise verbrachte er 1973 die Ferien in einem Landhaus seiner Eltern in
der Nähe von La Pierre-qui-Vire. Vorher hatte er bereits die Regel des hl.
Benedikt und Kierkegaard gelesen. Bei einem Besuch im Kloster, dem bald acht
Einkehrtage folgten, war alles klar: Gebet und Einsamkeit - das Leben, das er
suchte. Der Abt Denis sagte ihm: „Kommen Sie und wir werden sehen."
Bereits im November 1973 trat er ein. Er war angekommen.
Die neue Zeit begann mit
einem Noviziat, das er geliebt hat. „Es ist wie ein Abenteuer", schwärmt
er noch immer. „Man hat alles zu lernen. Hier werden die Fundamente gelegt. Es
ist wichtig, sich dem Novizenmeister anzuvertrauen, ihm das Herz zu öffnen. Er
schaffte auch die Kontakte in der damaligen großen Gemeinschaft. Beunruhigte
fallen gleich auf, alles nicht immer einfach. Doch ich war sehr glücklich. Wenn
der Versucher Unruhe schaffte, habe ich alle Entscheidungen, auch später bei
den Gelübden, in der Freude getroffen."
[…]
Das vor einem halben
Jahrhundert einberufene II . Vatikanische La Pierre-qui-Vire hatte nach der
Liturgie-Reform keinen Ritusstreit zu überstehen. Die Volkssprache schaffte
neuen Schwung. Ansonsten befriedete die kluge Hand von Abt Denis diese Jahre
des Umschwungs. Äußerlich kürzte man das Habit um die Hälfte und schaffte einen
Kompromiss zwischen klösterlicher Kapuze und grauer Hose. […]
4000 Besucher kommen
jährlich nach La Pierre-qui-Vire. […] Die kleiner werdende Gemeinschaft schafft
Lücken. Manche Betagte sieht man nur noch beim Essen im Refektorium. Gebeugte
Männer mit zitternden Händen, von den Jungen liebevoll versorgt. Von den 40
Mönchen erscheint nur noch die Hälfte zum Nachtoffizium, das von 2 bis 3 Uhr
andauert. Manche sagen, es sei die eigentliche „monastische Zeit".
Man öffnet das Fenster und
riecht den Wald, Sternenhimmel, die Stille kennt Tausende Sprachen. Diese
Vigil, in deren Anschluss sich die Mönche noch einmal für drei Stunden
hinlegen, gehörte zu den „Abtötungs"-Observanzen des Gründers. Es wird
nicht leicht, sie weiter so beizubehalten. […]
(Ausschnitte von Freddy
Derwahl, Gottsucher, Was Menschen im Kloster suchen und finden)
Siehe auch HIER und HIER
La Pierre-qui-Vire im
Herbst
(foto-gitesdesgodains)
|
Abteikirche, Chorgebet
(Foto der Abtei)
|
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen