(aus dem Kapitel: Ein
Meister aus Solesmes)
Das Kirchenschiff ist eng
und tief, es schafft eine seltsame Distanz, als dürfe man sich dem Heiligtum
nur vorübergehend nähern.
Auch das macht den Stil
von Solesmes aus: strenge Konzentration auf das Eigentliche. Es ist in der
Stille verborgen und der schwebende Gesang nur ihre Fortsetzung mit anderen
Mitteln. Gregorianische Langsamkeit wie ein Echo aus dem Dunkel der
Jahrtausende. Priesterliche Zelebranten, Lektoren, Weihrauchschwenker als
Hauptdarsteller eines klassischen Dramas. Der Mönchschor als Widerhall,
zugleich mächtig und leise.
Beobachtet man die
spärlichen Szenen der sich verbeugenden und erhebenden 60 Männer, entsteht der
Eindruck, dass einer dem anderen gleicht, vor allem die Alten. So, als seien
ihre Gesichtszüge im Laufe von Tausenden Offiziums-Stunden in der langen Enge
dieser Kirche ineinander verschmolzen. Eine Familie, deren Brüder sich
gleichen. Gefeilt, wie man Holz feilt, geschliffen wie der Stein all jener
Skulpturen, die in den Seitenaltären glänzen.
Hier ist nichts, das nicht
in das große Ganze eingefügt wäre. Die Übergänge sind fließend. Selbst bei den
Jubelgesängen „Gloria" oder „Sanctus" ist die Freude zurückhaltend.
Es herrscht die Atmosphäre versunkener Aufmerksamkeit. Nur die Lesungen werden
in Französisch vorgetragen. Heute die erschütternde Passage aus dem
Philipperbrief: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu
sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave..."
Solesmes als eine
Kulturabtei zu bezeichnen, wird den Mönchen, die hier „unter einer Regel und
einem Abt" ein Leben der Gottsuche führen, nicht gefallen. Doch ist
unbestreitbar, dass im Laufe der letzten Jahrhunderte zahlreiche Künstler und
Schriftsteller diese Abtei als Zufluchtsort ausgesucht haben.
Seit Gueranger gab es eine
Reihe charismatischer Äbte, die sich keineswegs in ein gregorianisches Biotop
zurückzogen, sondern sich den Zweifeln ihrer Zeit stellten. Es entstanden
Freundschaften zwischen Mönchen und Kunstschaffenden und Denkern, die auf deren
Werke abfärbten und bis heute Spuren hinterlassen haben. Mehr als nur ein Stück
abendländischer Kulturgeschichte, sondern dramatische Glaubenssuche vor Anbruch
der Kriegskatastrophen. […]
(Ausschnitte von Freddy
Derwahl, Gottsucher, Was Menschen im Kloster suchen und finden)
Blick in den Chor der Abteikirche
Foto tokafi
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Foto Juliette Samson
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