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Dienstag, 5. November 2013

„Kulturabtei“ Solesmes


(aus dem Kapitel: Ein Meister aus Solesmes)

Das Kirchenschiff ist eng und tief, es schafft eine seltsame Distanz, als dürfe man sich dem Heiligtum nur vorübergehend nähern.

Auch das macht den Stil von Solesmes aus: strenge Konzentration auf das Eigentliche. Es ist in der Stille verborgen und der schwebende Gesang nur ihre Fortsetzung mit anderen Mitteln. Gregorianische Langsamkeit wie ein Echo aus dem Dunkel der Jahrtausende. Priesterliche Zelebranten, Lektoren, Weihrauchschwenker als Hauptdarsteller eines klassischen Dramas. Der Mönchschor als Widerhall, zugleich mächtig und leise.

Beobachtet man die spärlichen Szenen der sich verbeugenden und erhebenden 60 Männer, entsteht der Eindruck, dass einer dem anderen gleicht, vor allem die Alten. So, als seien ihre Gesichtszüge im Laufe von Tausenden Offiziums-Stunden in der langen Enge dieser Kirche ineinander verschmolzen. Eine Familie, deren Brüder sich gleichen. Gefeilt, wie man Holz feilt, geschliffen wie der Stein all jener Skulpturen, die in den Seitenaltären glänzen.
Hier ist nichts, das nicht in das große Ganze eingefügt wäre. Die Übergänge sind fließend. Selbst bei den Jubelgesängen „Gloria" oder „Sanctus" ist die Freude zurückhaltend. Es herrscht die Atmosphäre versunkener Aufmerksamkeit. Nur die Lesungen werden in Französisch vorgetragen. Heute die erschütternde Passage aus dem Philipperbrief: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave..."

Solesmes als eine Kulturabtei zu bezeichnen, wird den Mönchen, die hier „unter einer Regel und einem Abt" ein Leben der Gottsuche führen, nicht gefallen. Doch ist unbestreitbar, dass im Laufe der letzten Jahrhunderte zahlreiche Künstler und Schriftsteller diese Abtei als Zufluchtsort ausgesucht haben.
Seit Gueranger gab es eine Reihe charismatischer Äbte, die sich keineswegs in ein gregorianisches Biotop zurückzogen, sondern sich den Zweifeln ihrer Zeit stellten. Es entstanden Freundschaften zwischen Mönchen und Kunstschaffenden und Denkern, die auf deren Werke abfärbten und bis heute Spuren hinterlassen haben. Mehr als nur ein Stück abendländischer Kulturgeschichte, sondern dramatische Glaubenssuche vor Anbruch der Kriegskatastrophen. […]

(Ausschnitte von Freddy Derwahl, Gottsucher, Was Menschen im Kloster suchen und finden)


Blick in den Chor der Abteikirche


Foto tokafi

Foto Juliette Samson




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