Der blasse Halbmond steht
schon über dem Ventoux. Bruder Jean hat seine Motorsäge abbestellt. Der heftige
Wind wandelt sich zum Sturm. Rebellierend rüttelt er an Türen und Fenstern,
treibt Staub und Steine vor sich her. Die Zypressen auf dem Klosterhof beugen
sich hin und her; man glaubt, jetzt brechen sie. Trockene Kälte, als tobten
oben auf dem Gipfel die Geister der Kelten. Die Abtei steht wurzelfest.
17.30 Uhr Vesper, Stunde
der Dämmerung, Zufluchtsgebete. Ein Novize liest die Einleitung aus dem 2.
Korintherbrief: „Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn,
der Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes."
Fastenessen der Mönche,
jeder geht nach Gutdünken. Im Refektorium sieht man sie von ganz nahe: strenge
Gesichtszüge, Zeichen innerer Kämpfe, klösterliche Blässe. Leon Bloy schrieb,
es gebe nur diese eine Traurigkeit,
„kein Heiliger zu sein".
Niemand liest vor. Manche
nehmen bloß einige Salatblätter und einen Schluck Wasser. Bald beginnt das vom
hl. Benedikt vorgeschriebene „große Schweigen". Erst um 3.15 Uhr läuten
wieder die Glocken zur Nachtvigil. […]
In der Frühe rückt der
Ventoux näher. Nach dem Mistral haben sich ihm die Hügel versöhnlich
angeschmiegt. Erste Sonne über den Weinbergen, silbernes Flirren in den
Olivenbäumen. In der Laudes schwebt im gregorianischen Choral die Schöpferlust.
[…]
So gehe ich von hier in
einer seltenen Freude. Le Barroux ist eine stille und kämpferische Abtei. Das
von den Preisgebern belächelte Abendland zeigt im Schatten des magischen Berges
noch einmal seine ursprüngliche Kraft und reine Schönheit. Das Alte leuchtet
jugendlich. Hier ist einer der letzten Orte, uns die Furcht vor der tobenden
Welt zu nehmen.
(Ausschnitte von Freddy
Derwahl, Gottsucher, Was Menschen im Kloster suchen und finden)
Chor der Abteikirche St. Madeleine
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