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Donnerstag, 7. November 2013

Die Abtei Le Barroux wenn der Abend naht

(aus dem Kapitel: Sturm über Le Barroux)

Der blasse Halbmond steht schon über dem Ventoux. Bruder Jean hat seine Motorsäge abbestellt. Der heftige Wind wandelt sich zum Sturm. Rebellierend rüttelt er an Türen und Fenstern, treibt Staub und Steine vor sich her. Die Zypressen auf dem Klosterhof beugen sich hin und her; man glaubt, jetzt brechen sie. Trockene Kälte, als tobten oben auf dem Gipfel die Geister der Kelten. Die Abtei steht wurzelfest.

17.30 Uhr Vesper, Stunde der Dämmerung, Zufluchtsgebete. Ein Novize liest die Einleitung aus dem 2. Korintherbrief: „Gepriesen sei der Gott und Vater Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes."

Fastenessen der Mönche, jeder geht nach Gutdünken. Im Refektorium sieht man sie von ganz nahe: strenge Gesichtszüge, Zeichen innerer Kämpfe, klösterliche Blässe. Leon Bloy schrieb, es gebe nur diese eine Traurigkeit, „kein Heiliger zu sein".

Niemand liest vor. Manche nehmen bloß einige Salatblätter und einen Schluck Wasser. Bald beginnt das vom hl. Benedikt vorgeschriebene „große Schweigen". Erst um 3.15 Uhr läuten wieder die Glocken zur Nachtvigil.  […]

In der Frühe rückt der Ventoux näher. Nach dem Mistral haben sich ihm die Hügel versöhnlich angeschmiegt. Erste Sonne über den Weinbergen, silbernes Flirren in den Olivenbäumen. In der Laudes schwebt im gregorianischen Choral die Schöpferlust. […]

So gehe ich von hier in einer seltenen Freude. Le Barroux ist eine stille und kämpferische Abtei. Das von den Preisgebern belächelte Abendland zeigt im Schatten des magischen Berges noch einmal seine ursprüngliche Kraft und reine Schönheit. Das Alte leuchtet jugendlich. Hier ist einer der letzten Orte, uns die Furcht vor der tobenden Welt zu nehmen.

(Ausschnitte von Freddy Derwahl, Gottsucher, Was Menschen im Kloster suchen und finden)

Chor der Abteikirche St. Madeleine


Foto via overgrownpath



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