Denn eine der Thesen, die damals von modernistischer Seite
vorgebracht wurden, hören wir – so oder so ähnlich – auch heute noch: „Der
Glaube hat hier auf Erden keine dauerhafte Wohnstätte, selbst wenn er stets
bemüht ist, sich vorübergehende Behausungen zu suchen. Insbesondere wäre es
vergeblich, ihn in den mittlerweile veralteten Formen aufrechtzuerhalten, die
einer anderen Mentalität entsprechen und jetzt nichts mehr sein können als die
ehrwürdigen Zeugnisse einer vergangenen Zeit.“
Das obige Zitat stammt von Alfred Loisy, gegen den das Werk
von Billot, welches ursprünglich den Titel „De immutabilitate traditionis
contra novam hæresim evolutionismi“ – auf Deutsch: „Über die Unveränderbarkeit
der Tradition gegen die neue Häresie des Evolutionismus“ – erschienen war,
hauptsächlich gerichtet ist. Entsprechend findet sich im abschließenden
sechsten Kapitel auf etwa 30 Seiten eine „Anhäufig von Irrtümern“, die aus den
Schriften Loisys extrahiert wurden.
„De immutabilitate traditionis“ ist eingeteilt in sechs
Kapitel. Es handelt sich nicht um eine Polemik, sondern um eine kurze
Abhandlung, die auch den Laien in die Problematik einzuführen vermag, wobei
Billot trotz allem kaum als „leichte Lektüre“ kategorisiert werden kann. Im
ersten Kapitel diskutiert der Autor, was die Kirche meint, wenn sie von „Tradition“
spricht. Sodann widmet er sich Einwänden, die man gegen die Tradition als
solche vorbringen könnte. Das Auftreten scheinbarer Widersprüche, so erläutert
Louis Kardinal Billot jedoch, ist leicht zu erklären. Zwar sei die Lehre der
Tradition immer dieselbe, doch sei sie nicht von jeder Person zu jedem
Zeitpunkt in derselben Weise ausgebildet und ausgeführt. Es gebe drei Stadien:
den einfachen Glauben, ein Zwischenstadium sowie das Stadium der vollständigen
Erklärung.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Fehlern der
historischen Methode bei der Kritik der Zeugnisse der Tradition. Die
historische Methode sei angemessen, um die Tatsache der Offenbarung zu
beweisen, nicht jedoch, wenn man die sogenannten „præambula fidei“ hinter sich
gelassen hat und den in der Offenbarung enthaltenen Wahrheiten nachgeht. Im
vierten und fünften Kapitel geht es Billot um die „relative Wahrheit“ bzw. um
den „moralischen Dogmatismus“. Wie angedeutet sammelt das letzte Kapitel die
Irrtümer Loisys. Hier ist es nur bedauerlich, daß Billot sich nicht die Zeit
nimmt, sie auch zu widerlegen, denn das hätte eine phänomenale
Argumentationshilfe sein können. „De immutabilitate traditionis“ vorangestellt
ist eine sehr inhaltsreiche Einleitung von Claudia und Peter Barthold, die auch
die Übersetzung vorgenommen haben.
Wohin der Modernismus führt, soll zum Abschluß ein längeres
Zitat aus „Tradition und Modernismus“ deutlich machen, in dem sich Louis
Kardinal Billot auf sarkastische Weise direkt an seine Leser richtet: „Bis jetzt
nahmen Sie an, daß es eine moralische Verfehlung sei, wenn man den häretischen
Lehrmeinungen beipflichtet, zumindest denen, die man in der althergebrachten
Sprache als solche bezeichnete. Aber heute muß Ihnen klar sein, daß Sie hier
einem unsinnigen Vorurteil erlegen waren. Mit dem gleichen Anspruch und mit dem
gleichen Recht wie die Formeln der römisch-katholischen Kirche könnten jene der
Lutheraner, der Sozinianer, der Arianer oder der Muslime auch diese absolute
und unbekannte Wahrheit symbolisieren, der alleine anzuhängen Sie stets
beabsichtigen. Deshalb spielt es schließlich keine Rolle, seine Zustimmung zu
einer Konfession oder zu einer anderen zu geben. Sie sind katholisch? Werden
Sie doch Protestant, wenn es Ihnen zusagt. Ja, vielmehr steht dem nichts im
Wege, zugleich katholisch und protestantisch zu sein, weil ja das katholische
Glaubensbekenntnis keinerlei Schaden erleiden wird, wenn Sie es zugleich mit
dem lutheranischen, anglikanischen oder calvinistischen oder auch einem anderen
Glaubensbekenntnis verbinden. Und welcher Gläubige wird schließlich nicht die
Absicht hegen, alleine der unbekannten Wahrheit anzuhängen, die sich ihm
vielleicht eines Tages offenbaren wird? Deshalb stehen wir bereits mit allen
Bekenntnissen auf der Welt durch eine Glaubensgemeinschaft in Verbindung, und
schon leuchtet das Morgenrot eines Zeitalters, in dem es eine einzige Religion
für die ganze Menschheit geben wird, nachdem man für immer alle Trennungen
abgeschafft hat, die der alte Aberglaube eingeführt hatte.“ Wenn der einfache
Gläubige heute ein Modernist ist, dann selten bewußt und mit böser Absicht.
Anzuklagen ist stattdessen eine Hierarchie, die ihre Pflichten hinsichtlich der
Verteidigung des Glaubens massiv vernachlässigt hat.
Jouis Billot SJ. Tradition und Modernismus.
Über die Unveränderbarkeit der Tradition gegen die neue
Häresie des Evolutionismus.
Carthusianus-Verlag 2014.
Übersetzt von Claudia Barthold, Peter Barthold.
236 Seiten, Paperback, 19,80€.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen