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Montag, 11. Mai 2015

Wer war Jeanne-Marie Guyon (6/8)

Der Bischof von Genf hatte mittlerweile eine Rückehr nach Gex unmöglich gemacht. Bei ihrem erster Aufenthalt in Grenoble von Juli bis Dezember 1684 wird der „Moyen court" als ihr erstes Buch in Druck gegeben: es erscheint Mitte März 1685. Im übrigen verfaßt sie während dieser Zeit den größten Teil ihrer mystischen Kommentare zur Heiligen Schrift.

Überall, wohin sie kommt, übt sie ihr Apostolat der Innerlichkeit aus. Sie findet eine zahlreiche Anhängerschaft, auch unter Ordensleuten, obwohl sie selbst - wohlgemerkt - dem Ordensstand nicht angehört. Es zeigt sich aber auch bald wachsender Widerspruch, vor allem aus Kreisen der antimystisch orientierten Jansenisten. Hinzu kommt Neid, aber auch Verleumdung wegen der gemeinsamen Reisen mit Pater La Combe. In Paris braut sich dann aus verschiedensten Gründen und zum Teil mit übelsten Methoden ein erstes Unwetter zusammen.

Mitauslösendes Moment waren Ereignisse in Rom, nämlich der Inquisitionsprozeß gegen den spanischen Priester Miguel de Molinos, der selbst den damaligen Papst Innozenz XI. in Schwierigkeiten brachte. „[Molinos] hatte seit 1664 ein großes Ansehen als Seelenführer erlangt. Mit höchster Genehmigung ließ er 1675 seinen ,Guia espiritual' [Geistlichen Führer] erscheinen. In sich selbst betrachtet, erscheint das Werk sehr harmlos: Es ist stark von den rheinisch-flämischen und spanischen Mystikern beeinflußt und betont nur übertrieben die passive Haltung und die Techniken, die zur contemplatio acquisita [erworbenen Beschauung] führen. Man behauptete aber, Molinos habe Eingeweihten eine viel gewagtere esoterische Unterweisung gegeben, und beschuldigte ihn schwerer moralischer Perversionen. Tatsächlich zeigt das für die Konsultoren des Heiligen Offiziums zusammengestellte „Summarium" klar, daß er sich auf diesem Gebiet bedauerliche Freiheiten genommen hatte, die er als erlaubt ansah. Obwohl Innozenz XI. ihn zunächst beschützte, wurde Molinos 1685 verhaftet, 1687 verurteilt; er starb in der Haft des Heiligen Offiziums. Die Konstitution ‚Caelestis Pastor' schreibt ihm 68 seinen Briefen und Vorträgen, nicht aber dem ,Guia' entnommene Sätze zu, in denen sich die schlimmsten Irrtümer des Quietismus finden. Jedoch erlaubt der gegenwärtige Forschungsstand nicht, mit Exaktheit das wirkliche Maß der Schuldhaftigkeit festzustellen. Die Verurteilung rief in Italien [und später auch in Frankreich] eine antimystische Welle hervor, und zahlreiche bis dahin sehr geschätzte Werke wurden indiziert"; darunter auch der „Kurze und sehr leichte Weg" der Madame Guyon, und zwar in seiner italienischen Übersetzung.

Das erste Opfer in Frankreich war P. La Combe. Auf-grund seines römischen Aufenthaltes konnte er leicht der Beziehung zu Molinos und damit des Quietismus bezichtigt werden. Der damalige Erzbischof von Paris, de Harlay, dessen Großneffen Madame Guyon die Ehe mit ihrer Tochter Jeanne-Marie versagt hatte, weil er - wie übrigens auch sein Großonkel - einen wenig guten Ruf hatte, erwirkte gegen Pater La Combe Haftbefehl. Dieser wird am 3. Oktober 1686 festgenommen und ohne jeden regulären Prozeß bis an sein Lebensende in verschiedenen Gefängnissen in Haft gehalten, unter anderem auch in Lourdes. Er stirbt in völliger geistiger Umnachtung 1715 in der Irrenanstalt Chanteron.

Der Erzbischof erwirkt, ebenfalls unter dem Vorwand des Quietismus, einen Haftbefehl gegen Madame Guyon, der aber aufgrund ihrer Krankheit erst im Januar 1688 in Kraft treten kann. Vom 29. Januar bis 13. September ist sie in Klosterhaft bei Heimsuchungsschwestern, wo sie anfängt, ihre Autobiographie zu schreiben. Ihre Freunde erreichen über Madame de Maintenon, der erst geheimen, dann öffentlich anerkannten Gemahlin Ludwigs XIV., ihre Freilassung. Madame de Maintenon ist es auch, die Madame Guyon in Saint-Cyr einführt, einem Stift für adelige Damen, wo sie einen überaus starken geistlichen Einfluß gewinnt.
Zur gleichen Zeit, Anfang Oktober 1688, kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Abbe Fenelon, die an Tiefe und Bedeutsamkeit diejenige mit Pater La Combe weit übertrifft.

(vgl. E. Jungclausen, Suche Gott in dir; 1986)


6 Kommentare:

  1. Zu den Merkmalen des Quietismus gehört nach Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Quietismus auch der Verzicht auf mündliches Gebet und Empfang der Sakramente.

    Die im vorherigen Teil angeführte Situation zwischen P. la Combe und Madame Guyon, bei der sie wortlos und in der Sprache der Engel miteinander kommunzieren, ist dieser Beschreibung allerdings sehr verwandt.

    Dass das Lehramt sowohl die Lehren P. la Combes verwarf als auch die des genannten EB Fénelon wirft Fragen auf über das, was Madame Guyon als deren engste Freundin vertritt.

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  2. Für die Zuschrift danke ich, ebenso für jene vor einigen Tagen.
    Was sie festgestellt haben scheint zu stimmen. Tatsächlich ist Madam Guyon sowohl vom Quietismus als auch von protestantischer Seite vereinnahmt worden. Das kann man in dem Buch von Emmanuel Jungclaussen auch nachlesen. Guyon jedenfalls hat sich nicht da gesehen sondern in der kath. Kirche. Jungclaussen (er war Abt der Benediktinerabtei Niederaltaich, in der es neben auch eine byzantinische Kommunität innerhalb des Klosters gab) war dem ökumenischen Anliegen, so wie es sich nach dem Konzil entfaltete zugeneigt. Er sah Guyon als Wegbereiterin eines „geistlichen Ökumenismus“. Ihre Gedanken und Schriften wurden im 18. Jh. innerhalb des deutschen Pietismus aktueller denn je; besonders durch Gerhard Tersteegen. Jungclaussens beschäftigte sich sehr mit dem inneren, innerlichen Leben. Er war derjenige, der ein Buch über das Jesusgebet (Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers) veröffentlichte und weitere kleinere Schriften dazu. Ihm lag sehr daran, wichtige geistliche Schriften, die das geistliche Leben in unseren Tagen und den heutigen Menschen dienen können, Verbreitung zu verschaffen. Er hat nicht danach gefragt, ob das „Sich-Einsfühlen und Sich-Verlieren“ in den Willen Gottes einer bestimmten Konfession oder Theologie eigen ist. Dennoch war ihm bewußt, dass Guyon gerade im Protestantismus große Bedeutung hatte, deren Bedeutung er jedoch wieder in einem spirituellen Ökumenismus sah.

    Als ich das Büchlein, das ich in den 80er Jahren erstmals gelesen hatte, wieder in die Hand nahm, war mir klar, dass es, wenn ich Abschnitte daraus veröffentliche, zu Irritationen kommen könne. Zwar sind bis heute kaum eigene Zitate von Guyon selbst in die Texte eingegangen, aber Sie, verehrte Zeitschnur, haben schnell die Problematik erkannt. Dass wir auch in der katholischen Kirche Kinder unserer Zeit sind erfahren wir kaum eindrucksvoller als heutzutage. Wievielmehr sollten wir versuchen zu verstehen, was im 17. Und 18. Jahrhundert los war; besonders auch im französischen Katholizismus (ich will hier nicht weiter darauf eingehen). Sicherlich müssen wir Madam Guyon aber auch als eine starke Frau ansehen mit ihrem eigenen Kopf. Sie war eine Persönlichkeit, die versuchte ihr Leben aus dem Glauben und ihren eigenen „Erfahrungen“ heraus zu „gestalten“. Aus der Geschichte der Aszetik, der Heiligen und der Frömmigkeit wissen wir aber auch, dass es sehr oft Probleme mit einzelnen Persönlichkeiten gegeben hat. Ich denke dabei etwa an die heilige Teresa von Avila aber auch an Ignatius von Loyola. Sie waren allesamt verdächtig, bis man sie irgendwann anerkannte.

    Aber worum geht es mir, wenn ich Texte dieser umstrittenen Frau auf meinem katholischen Blog veröffentliche? Man wird sehen, dass diese Texte, ohne den 8teiligen Vorspann über die Person Guyons, kaum die oben angesprochenen Differenzen feststellen würden. Guyons Texte können Menschen ansprechen und sie auf Gott verweisen und sie sogar helfen, sie auf den Weg zu ihm zu führen. Das ist mein Anliegen.

    Den möglichen Einwurf „eine vielleicht häretische Person kann nicht die Lehre der Kirche weitergeben“, stimmt. Aber nur bedingt. Auch der jetzige Papst sagt einiges Wahre.

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  3. Danke für diese Erklärung!
    Mir ist schon klar, dass insbesondere in Frankreich allerhand los war - vom Jansenismus über Sorbonne-Machtspiele hin zum Gallikanismus...
    Auch sehe ich die Tatsache, dass v.a. der deutsche Pietismus die Schriften Madame Guyons rezipierte, nicht als Negativum, ist doch auch der Pietismus , so scheint es mir, der hilflose Versuch, aus dem vulkanischen, bald erstarrten Luthertum herauszugelangen. Der Pietismus hat zahlreiche, an sich katholische Elemente zurückgeholt, nicht zuletzt auch wieder das zölibatäre Leben, wenigstens für Frauen... Irgendwie war der Weg zurück in die Kirche versperrt.
    Das wäre eine interessante Frage für die Forschung. Der Pietismus hat wohl auch sogar eine "katholische" Variante entwickelt, die aber bischöflicherseits unterdrückt wurde.

    Ich denke nicht, dass Madame Guyon eine Häretikerin war, wie Sie andeuten. Weder ist sie als solche verurteilt worden, noch hat sie auf etwas bestanden - sie hat ja gehorsam einiges widerrufen, wenn ich das recht verstanden habe. Also! sagte der Badener. Dann muss es damit aber auch gut sein.

    Ich muss allerdings gestehen, dass ich Zweifel habe daran, dass der Mensch, solange er im irdischen Leib ist, die Sprache der Engel sprechen und in ihr sogar kommunizieren kann (wie G. mit ihrem Beichtvater). Das liegt daran, dass ich die Worte des hl. Paulus, er sei entrückt gewesen in den 3. Himmel und habe dort "unaussprechliche" Worte gehört, sehr ernst nehme. Denn der Apostel fragt sich, ob er im Leib war, ja überhaupt sein KONNTE - Johannes v. Kreuz erklärt das so, dass dem irdischen Leib diese Sprache nicht möglich ist. Johannes meint, man würde sterben, wollte man sich in dieser Sprache bewegen.
    Letztendlich geht es um die Grenze zwischen Glauben und Schauen, die in diesem Leben nicht wirklich überschritten werden kann - so jedenfalls legt es das Schriftwort zumindest nahe.
    Es ist ein spannendes Thema, und wenn Sie dazu theologische Literatur kennen oder Lehrschreiben der Päpste, wäre es interessant, das zu lesen.

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    1. Auch ich denke nicht, dass Guyon eine Häretikerin war, darum stellte ich sie ins Verhältnis von F.
      Das mit der Sprache der Engel ist eine andere Sache. Wie ja auch gerade Johannes vom Kreuz als großer Mystiker von Dingen spricht, die eigentlich unerklärbar sind. Einige hundert Jahre vorher gab es einen heiligen Bernhard, der ähnlich sprechen konnte und in „seiner“ Schule dann eine ganze Generation (Wilhelm von St. Thierry, Balduin von Ford und ganz speziell Aelred von Rievaux). Ja, es geht letztlich um das Schauen. Und diese Grenze ist eine gefährliche Grenze. Ganz viele sind da abgestürzt, jedenfalls nach menschlicher Meinung. Tatsächlich wäre es sehr interessant, hier einmal die Lehre der Kirche und der Päpste zu erforschen. Vielleicht finde ich ja einmal Zeit, einige Quellen zu suchen. Aber Sie wissen ja, das eigene Leben mit Gott ist wichtiger als das Studium der Erfahrenen. Wobei gerade auch diese oft gesagt haben, wie wichtig es ist aus und von den Erfahrenen zu lernen. Also – eine spannende Sache, das Leben mit Gott! Gehen wir weiter! Haben wir Mut!
      LG

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    2. Ich habe zuletzt die Studie "Kreuzeswissenschaft" von Edith Stein gelesen. Sie befasst sich in der Hauptsache mit der mystischen Theologie des Johannes v. Kreuz.

      Johannes war äußerst skeptisch gegenüber mystischen Erlebnissen und riet sogar, sie auch dann zu ignorieren, wenn sie von Gott kämen. Sie machen den Menschen stolz und behindern sein geistliches Fortkommen.
      Seine Begründung lautet: wahre Mystik spielt sich nicht in dem sinnlichen Bereich ab, in dem sich gewöhnlich Erscheinungen, bildliche und aussprechbare Visionen befinden.
      Die Seele macht am Ende, wenn es recht steht, Erfahrungen, über die sie nicht sprechen kann. Nicht so sprechen kann jedenfalls, dass ein anderer das verstehen könnte, ohne selbst diese Erfahrung zu machen. Hat aber der andere solche Erfahrung, muss man darüber nicht mehr irdisch sprechen...
      Vielleicht meinte Madame Guyon auch dies (zwischen ihr und La Combe) - eine stillschweigende Übereinstimmung. Man weiß genau, was der andere erlebt und meint, ohne dass es gesagt werden muss, und dies in einem heiligen Bereich. (Man kennt solche Erfahrungen ja aus dem Alltäglichen auch zwischen Menschen, die sehr vertraut sind miteinander) Aber hier ging es um nichts Sinnlich-Alltägliches.
      Wenn das aber so ist, kann man schwerlich von einer "Sprache" reden. Eher von einer Art tiefer Einheit zwischen Personen in Christus.

      Das kontrastiert jedoch wieder mit der Erfahrung des hl. Paulus, er habe tatsächlich "Worte" gehört, "unaussprechliche Worte", also kein Schweigen, in dem man auf einer inneren Ebene übereinstimmt, sondern echte Sprache...
      Vielfach wird ja berichtet, dass die Engel tatsächlich Worte singen und Gott mit Worten loben - aber Worte, die man hören kann, wenn man einen verklärten Leib hat bzw. vonseiten Gottes für Momente eines Einblickes in den verklärten Leib gewürdigt wird.

      Ob viele "abgestürzt sind" - ich weiß es nicht.
      Johannes v. Kreuz rechnet mit der Tatsache, dass gerade die Mystik, weil sie außerhalb des natürlichen Erfahrens liegt, auch eines der größten Einfallstore des Bösen und Verführers ist.
      Alles, was also mystisch vorgetragen wird, muss sich wohl oder übel an der objektiven, lehramtlichen Norm messen lassen, um an dieser Stelle der Hölle nicht Tür und Tot zu öffnen, ohne es zu merken...
      Fest steht jedenfalls, dass Jesus ein objektives, "sprödes" Lehramt über all das gesetzt hat.
      Vielleicht steht der Satz des Paulus, er wolle nicht, dass die Frau "lehrt" (also im Lehramt entscheidet) auch in diesem Zusammenhang: die Frau ist eindeutig mystisch wesentlich empfänglicher, sensibler und reicher ausgestattet (was aber dieselbe Gabe bei Männern gelegentlich nicht ausschließt - wie ja auch umgekehrt äußerst intellektuelle und objektiv denkende Frauen existieren!). Was immer ihr an größten Gaben hier geschenkt wird: es sollte vonseiten des Lehramtes endgültig und nüchtern geprüft werden (natürlich auch das, was von Männern kommt, die nicht lehramtlich befugt sind). So hielt es die Kirche stets. Der Satz des hl. Paulus, Eva sei schließlich verführt worden, bedeutet nicht, wie der hochmütige Mann es gerne las, dass die Frau nicht fähig sei, die Wahrheit zu empfangen. Es bedeutet im Gegenteil, dass sie sogar überaus fähig ist - so sehr, dass sie aufgrund der höheren Sensibilität und Erkenntnisfähigkeit was heilige Dinge betrifft angreifbarer ist. Der Satan lockte Eva damals mit "mehr" und "noch tieferer Erkenntnis" - vermutlich weil sie es war, die den ersten "Draht" zur Gotteserkenntnis hatte, während Adam mehr die Dinge der Schöpfung (das Irdische) erkannte und kategorisierte, wie uns ja auch berichtet wird...
      Zahlreiche große Werke von Frauen mit mystischer Ausrichtung sind daher überliefert, prinzipiell niemals unterdrückt, sondern im Gegenteil sogar gefördert worden - aber eben mit der Instanz der objektiven, vielleicht für manche allzu "irdischen" (logischen/normativen) Prüfung drüber.

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    3. Ich stimme hier vollkommen mit Ihnen überein.
      Und ich danke Ihnen für diesen guten Austausch!

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