Schwester Marie-Anne war an
ihre Gefährtin gefesselt und ging ohne mit der Wimper zu zucken mutig ihrem
Martyrium entgegen.
„Ich würde mit niemandem
tauschen", sagte sie. Ihr Gesicht strahlte vor Freude. Doch Schwester Odile
schien durch die Vorbereitungen für die Hinrichtungen beunruhigt. Schwester
Marie-Anne beruhigte sie und lenkte ihre Gedanken auf die Krone, die ihr bestimmt
war. „Wir dürfen eine so schöne Gelegenheit, Zeugnis für unsere Liebe zu
unserem göttlichen Bräutigam abzulegen, nicht vorübergehen lassen",
erklärte sie. „Dies ist der schönste und freudigste Tag unseres Lebens. Er wird
all unserem Elend ein Ende setzen, und wir werden das Glück haben, Gott zu
sehen und Ihn in Ewigkeit zu besitzen." Als sie diese Worte hörte, nahm
sich Schwester Odile zusammen, beschämt über ihre Angst vor dem Tod. Sie bat
Gott und ihre liebe Gefährtin, ihr zu verzeihen.
Die beiden Nonnen gingen
erhobenen Hauptes ihren Weg zur Hinrichtungsstätte. Auf dem Weg zu dem Feld, wo
sie erschossen werden sollten, verlor Schwester Odile ihren Rosenkranz. Sie
bückte sich nieder, um ihn aufzuheben, und ein Soldat zerschmetterte ihre
Finger mit dem Gewehrkolben. Der Ort, an dem das geschah, wurde lange Zeit
verehrt, und die Pilger knieten dort nieder, um zu beten. Der Rosenkranz wurde
wiedergefunden und wird bis heute als kostbare Reliquie aufbewahrt.
Schließlich gelangten die
Opfer wie Lämmer, die zur Schlachtbank geführt werden, zum Hinrichtungsplatz.
Sie hoben ihre Augen zum Himmel und boten ihrem himmlischen Vater das Opfer
ihres Lebens dar. Sie setzten ihr Vertrauen in Gott und sahen den Himmel offen,
um sie zu empfangen.
Der Offizier, der die
Erschießungen befehligte, hatte Mitleid mit den Schwestern. Er trat vor und
sagte zu ihnen: „Bürgerinnen, noch ist es Zeit, dem drohenden Tod zu entrinnen.
Ihr habt der Menschheit Dienste erwiesen. Warum wollt ihr wegen eines Eides,
den ihr schwören sollt, mit den guten Werken aufhören, die ihr immer getan
habt? Schwört den Eid nicht, wenn er euch zuwider ist. Ich werde es auf mich
nehmen zu sagen, daß ihr geschworen habt, und ich gebe euch mein Wort, daß euch
nichts geschehen wird."
„Bürger", entgegnete
Schwester Marie-Anne, „wir wollen nicht nur diesen Eid nicht schwören, wir
wollen auch nicht, daß es so scheint, als hätten wir ihn geschworen. Haltet uns
nicht für Feiglinge und für so sehr an diesem elenden Leben hängend, daß Ihr
glaubt, wir seien fähig, unsere Seelen zu beflecken und für einen Eid zu
opfern, den wir immer verabscheut haben und verabscheuen werden. Gott wird von
uns keine Rechenschaft verlangen über Dienste, die wir unseren Nächsten nur
dadurch hätten erweisen können, daß wir einen Eid schwören, den Er selbst
verabscheut und verurteilt. Wenn die Ablegung des Eides der einzige Weg ist,
unser Leben zu retten, dann erklären wir, daß wir lieber sterben als etwas tun,
das der Liebe entgegensteht, die wir unserem Gott geschworen haben."
Der Offizier gab den
Schießbefehl. Schwester Marie-Anne blieb stehen, ihr Arm war gebrochen. Wie der
hl. Stephanus betete sie für ihre Verfolger. „Vergib ihnen", sagte sie.
„Sie wissen nicht, was sie tun."
Die Soldaten stürzten sich
auf sie und die anderen Opfer und hieben sie mit ihren Säbeln und Bajonetten in
Stücke.
Michael Davies, Für Thron und Altar,
Der Aufstand in der Vandee (1793-1796),
Edition Kirchliche Umschau
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Siehe auch HIER
14.7.
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