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Sonntag, 8. Dezember 2013

Zweiter Adventssonntag (1)

Wir stehen seit dem letzten Sonntag unter der Gnade des Gerichtes.

Der Atem Gottes rauscht in den Blättern des Lebensbaumes und fährt als reinigender Sturmwind durch die Kirche und die Seele, die von dem mystischen Baum des heiligen Jahres das Heil erwartet. Der Ernst des Gerichtes hat sie erfaßt in heilsamer Selbstprüfung.
Darum gilt auch heute ihr erstes Gebet der Reinigung des Geistes:
„Weck auf unsere Herzen, Herr, deinem Eingeborenen die Wege zu bahnen. Durch sein Kommen gib, daß wir gereinigten Geistes dir dienen."

Als Antwort auf diese Bitte erhebt sich im Evangelium die Gestalt des Täufers vor der Kirche:
ein erneutes, lebendiges Gericht für sie, das mit der hinreißenden Gewalt des Beispiels vielleicht noch stärker redet als durch das prophetische Wort und den ernsten Mahnruf zur Umkehr. An der vollkommenen Selbstlosigkeit des Vorläufers erwacht die Kirche und die Seele zur Glut ihrer „ersten Liebe" und entkleidet sich jeder eitlen Anmaßung und Begierlichkeit. 

So wird auch die Rolle des Täufers im Heilswerk Gottes mit jedem Advent lebendig wirksam; „denn Kraft des Johannes läuft uns voraus, wenn wir uns bereit machen, an Christus zu glauben*", und, dürfen wir hinzufügen, wenn wir uns bereit machen, Christi Kommen gläubig in der Liturgie zu feiern. Und je mehr wir uns dem Gerichte des Johannes beugen, um so mehr nimmt die Kirche, nimmt unsere Seele die geistige Form des Vorläufers an. Sie wird selbst Herold Christi. Da sie mit sich selbst ins Gericht geht, wird Christus in ihr gegenwärtig, und was sie sieht, muß sie verkünden.

Der Schatten der Sünde fällt, und aus dem Ernst des Gerichtes erhebt sich die Freude der Gottesnähe: „Deus manifeste veniet — Gott kommt sichtbar."

(Aemiliana Löhr, Das Herrenjahr)



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