Seiten dieses Blogs

Freitag, 14. Dezember 2012

Das Meer ist ihr Kloster (8 von 14)

8
Eutropius fühlte, wie etwas in ihm zerbrach. Wie sollte er nur diesem heiligmäßigen alten Mönch die Nachricht beibringen, er hatte ja Dom Maxim buchstäblich gequält, ihm zu erlauben, die Pioniere zu begleiten. Er wusste, dieser eifrige Mann sehnte sich danach, die Neue Welt zu erreichen. Und nun ... mitten auf dem Atlantik ...
Kurz darauf beugte sich der Prior über die ausgestreckte Gestalt und sagte: „P. Benezet, die beiden Ärzte bestätigen, was ich schon vermutet hatte. In der vergangenen Nacht haben Sie einen Schlaganfall erlitten. Nun sind Sie dem Ende der langen Reise, die Sie mit uns begonnen haben, sehr nahe ... "
Der alte Mönch wandte sich ihm. zu. Seine Zunge war geschwollen, und er murmelte nur: „Was sagen Sie, Pater Prior?"
„Sie sind im Begriff, eine längere Reise anzutreten, Bruder. Sie gehen heim zu Gott."
Ein seltsames Feuer kam in die Augen des Kranken. Er versuchte, sich aufzurichten. Seine Stimme wurde deutlicher, als er, den Blick auf den Prior gerichtet, sagte: „Sie glauben, dass ich jetzt sterbe!"
P. Eutropius sah ihn scheu an. Es war ein Ruf gewesen, keine Frage, die er getan. „Ja, Bruder", antwortete er endlich, „das habe ich gesagt. Die Ärzte ... "
Der Prior kam nicht weiter. Der Kranke war in seine Koje zurückgesunken, und ein Laut, der fast wie Jubel klang, kam über seine blauen Lippen. P. Eutropius beugte sich über ihn und hörte ihn sagen:
„Oh, wie der gute Gott mich liebt! Wie er mich liebt!"
Tränen glänzten in seinen lichtvollen Augen, als er sich wieder an den Prior wandte und sagte: „Sie müssen ihm statt meiner danken, Vater ... Sie und die ganze Kommunität ... Wie gut ist er ... Er nimmt meinen Willen für die Tat ... Wollen Sie mir nun die Letzte Ölung geben, Vater ... Dann bin ich ganz bereit."

Die Kommunität versammelte sich um die Koje. P. Eutropius holte das Krankenöl und vollzog die Letzte Ölung. Dann begann er mit lauter Stimme - um trotz des Sturmes, der durch das Takelwerk fuhr, verstanden zu werden - die Gebete für den Sterbenden; das Stöhnen des Schiffes und das Wogen der Brandung begleiteten seine Worte. P. Benezet erkannte die Gebete und schüttelte den Kopf. P. Eutropius neigte sich zu ihm und hörte ihn sagen: „Noch nicht, Vater, noch nicht! Ich muss noch viel mehr leiden ... für Gott ..., ehe ich sterbe!" Der Prior schloss das Rituale und legte die Stola ab. Er blickte auf den Kranken, die Ärzte hatten gesagt, er würde kaum zu leiden haben, aber die geballte rechte Hand und die fest geschlossenen Augen verrieten etwas anderes. Der Superior setzte sich auf den Schemel, den P. Timotheus neben die Koje gestellt hatte und fing eine lange und einsame Wache an. Im Verlauf der Stunden schien der Sturm zuzunehmen, in Wirklichkeit wuchs die Stille im Raum. Die Aufmerksamkeit aller war jetzt auf den Kranken gerichtet.

(aus Fr. M. Raymond, Die weißen Mönche von Kentucky, Freiburg 1956)


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen