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Donnerstag, 20. Dezember 2012

Das Meer ist ihr Kloster (14 von 14)

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Am 1. Dezember war die „Braunschweig" im Golf von Mexiko. Neues Leben durchpulste sie und die ganze Belegschaft. Nun stand es fest, dass alle Rekorde gebrochen waren. Bisher hatte sie immer etwas weniger als 50 Tage gebraucht. Diesmal hatte sie es in knapp dreißig geschafft.

Kapitän Thomas war wie umgewandelt. Er wurde mitteilsam und machte Bemerkungen über den offensichtlichen Gegensatz zwischen den Mönchen und den übrigen Passagieren. Am Tage des Begräbnisses war dieser deutlich geworden, denn die „Trauernden" - die Mönche - waren die einzigen, die weder Angst hatten noch wirklich traurig waren. Mit jedem der kommenden Tage wurde der Gegensatz deutlicher.

Sobald das Schiff ruhigere Fahrt hatte sorgte P. Eutropius dafür, dass die Kommunität eine Tagesordnung befolgte, wie im Kloster zu Melleray. Das Offizium wurde zu festgelegten Stunden gesungen. Lesung und Studium waren für die Chormönche angesetzt und Arbeiten für die Laienbrüder. Tag für Tag konnte man sie in ihrem Raum bei den angewiesenen Beschäftigungen finden: Die einen beugten sich über ihre Rosenkränze, andere flochten kurze Schnüre und knoteten sie zu Geißeln, wieder andere schnitzten Holzschuhe oder arbeiteten etwas aus Leder. Ob Tag oder Nacht, nie waren diese 43 Männer des Schweigens müßig. Wegen dieser Ordnung
und der ständigen Beschäftigung herrschte im „Kloster" eine Atmosphäre des Friedens.

Der 4. Dezember 1848 lag golden über dem Golf. Am frühen Morgen kam der Flußpilot auf die Braunschweig ", und alles geriet außer sich vor Aufregung. Sobald das Schlepptau über den Bug des Schiffes glitt, klatschte Kapitän Thomas in die Hände, tätschelte das Steuerrad vor sich und rief: „Vor genau 32 Tagen haben wir Le Havre verlassen. Welch eine Fahrt!" Sein Gesicht glühte vor Begeisterung, als er aus dem Steuerhaus an die Reling trat, wo P. Eutropius stand und voll Bewunderung den Flußpiloten betrachtete, der jetzt an jeder Seite ein Schiff führte und die „Braunschweig" vom Heck aus lenkte.

„Guten Morgen, Pater", grüßte der Kapitän laut. „Warum lassen Sie nicht alle Mönche an Deck kommen? Hier gibt es allerhand zu sehen. Bis New Orleans sind es noch gut 30 Seemeilen. Wir erreichen das Dock erst morgen. Lassen Sie sie nach oben kommen, ich will ihnen ein wirkliches Wunder zeigen."
Fünf Minuten später war die Reling von Passagieren umlagert, die ins Wasser starrten. Rufe der Überraschung und des Schreckens wurden plötzlich laut. Das Schiff hatte die Mündung des Mississippi erreicht, unter der Oberfläche wurde ein Kampf zwischen den Fischen des Flusses und denen des Golfes ausgetragen, und zwar mit einer solchen Heftigkeit, dass es schien, die Wände des Schiffes würden mit gepolsterten Dreschflegeln bearbeitet.

(aus Fr. M. Raymond, Die weißen Mönche von Kentucky, Freiburg 1956)


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