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Montag, 17. Dezember 2012

Das Meer ist ihr Kloster (11 von 14)

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In der Nacht sprang der Wind um und riss das Focksegel von seinen Haltetauen. Der wachhabende Matrose sah es wie eine Rauchwolke im Dunkel verschwinden. Er rief den Maat. Der wurde schnell Herr der Lage, sorgte für geeigneten Ersatz und ließ mehr Segel setzen, nachdem er dem Steuermann die entsprechenden Anweisungen gegeben hatte. Ehe er in seine Koje zurückkehrte, trieb ihn die Neugier in das Zwischendeck hinunter, wo der Raum der Trappisten lag. Er hörte gedämpftes Murmeln. Als er eintrat, sah er ein Bild, wie er es noch nie auf See gesehen hatte.

Auf einer offenen Bahre, in eine glänzend weiße Kukulle gehüllt, lag P. Benezet. Die Bahre stand vor dem kleinen Holzaltar, den man an der Rückwand des Raumes errichtet hatte. Zwei hohe Kerzen brannten zu Häupten der Bahre und beleuchteten das große, schmale Kreuz, das P. Eutropius von Melleray aus durch Tours und durch die Straßen von Paris getragen hatte. Im Schein der Kerzen saßen zwei Mönche und beteten abwechselnd Vers für Vers die Psalmen Davids. Der Prior hatte Caulkins von diesem Brauch erzählt, aber der Maat hatte nicht gedacht, dass er buchstäblich die ganze Nacht meine. Das war ja ein Wachehalten mit der ganzen Aufmerksamkeit, wie sie die Seeleute im Sturm ihrem Schiff zuwenden. Caulkins stand tief im Schatten und lauschte dem vertrauten Ächzen der „Braunschweig" und dem Klatschen der Wogen, aber über diesen vertrauten Geräuschen schwang das ihm ungewohnte, einförmige Psalmodieren der Mönche. Im übrigen war der Raum dunkel, aber der Maat konnte die Gestalten der schlafenden Mönche erkennen. Als er wieder an Deck kam, stellte er fest, dass der Regen aufgehört und die Gewalt des Sturmes nachgelassen hatte. Das Begräbnis konnte am Morgen stattfinden.

Am Morgen kleidete sich P. Eutropius für den Begräbnisritus an. Die Mitbrüder stellten sich zu beiden Seiten des Raumes auf, und von zwei Chören erklangen - auch wenn das Schiff schräg lag - die Weisen, die Gottes Barmherzigkeit für den siebzigjährigen Trappisten anriefen, den er mitten auf dem Atlantik heimgerufen hatte. Lange vor 9 Uhr war der letzte Segen mit geweihtem Wasser erteilt und die letzte Weihrauchwolke zu den kahlen Balken des Zwischendecks emporgestiegen. Doch als die Schiffsglocke die Stunde schlug, erschien kein Seemann, denn die Braunschweig" fuhr noch immer durch aufgewühlte Wogen.

(aus Fr. M. Raymond, Die weißen Mönche von Kentucky, Freiburg 1956)


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