In
der Nacht sprang der Wind um und riss das Focksegel von seinen Haltetauen. Der
wachhabende Matrose sah es wie eine Rauchwolke im Dunkel verschwinden. Er rief
den Maat. Der wurde schnell Herr der Lage, sorgte für geeigneten Ersatz und
ließ mehr Segel setzen, nachdem er dem Steuermann die entsprechenden
Anweisungen gegeben hatte. Ehe er in seine Koje
zurückkehrte, trieb ihn die Neugier in das Zwischendeck hinunter, wo der Raum
der Trappisten lag. Er hörte gedämpftes Murmeln. Als
er eintrat, sah er ein Bild, wie er es noch nie auf See gesehen hatte.
Auf
einer offenen Bahre, in eine glänzend weiße Kukulle gehüllt, lag P. Benezet.
Die Bahre stand vor dem kleinen Holzaltar, den man
an der Rückwand des Raumes errichtet hatte. Zwei hohe Kerzen brannten
zu Häupten der Bahre und beleuchteten das große, schmale Kreuz, das P.
Eutropius von Melleray aus durch Tours und durch die Straßen von
Paris getragen hatte. Im Schein der Kerzen saßen zwei Mönche und beteten
abwechselnd Vers für Vers die Psalmen Davids. Der Prior hatte Caulkins von
diesem Brauch erzählt, aber der Maat hatte nicht gedacht,
dass er buchstäblich die ganze Nacht meine. Das war ja ein Wachehalten mit der
ganzen Aufmerksamkeit, wie sie die Seeleute im Sturm ihrem Schiff zuwenden.
Caulkins stand tief im Schatten und lauschte dem vertrauten Ächzen der „Braunschweig"
und dem Klatschen der Wogen, aber über diesen vertrauten Geräuschen
schwang das ihm ungewohnte, einförmige Psalmodieren
der Mönche. Im übrigen war der Raum dunkel, aber
der Maat konnte die Gestalten der schlafenden
Mönche erkennen. Als er wieder an Deck kam, stellte er fest, dass
der Regen aufgehört und die Gewalt des Sturmes nachgelassen
hatte. Das Begräbnis konnte am Morgen stattfinden.
Am
Morgen kleidete sich P. Eutropius für den Begräbnisritus an. Die Mitbrüder
stellten sich zu beiden Seiten des Raumes auf, und
von zwei Chören erklangen - auch wenn das Schiff schräg
lag - die Weisen, die Gottes Barmherzigkeit für den siebzigjährigen Trappisten anriefen,
den er mitten auf dem Atlantik heimgerufen hatte. Lange
vor 9 Uhr war der letzte Segen mit geweihtem Wasser erteilt und die letzte
Weihrauchwolke zu den kahlen Balken des Zwischendecks emporgestiegen. Doch als
die Schiffsglocke die Stunde schlug, erschien
kein Seemann, denn die „Braunschweig" fuhr
noch immer durch aufgewühlte Wogen.
(aus
Fr. M. Raymond, Die weißen Mönche von Kentucky, Freiburg 1956)
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